Die Oberföhringer Ziegelei von Paul Sedlmair lag zwischen der jetzigen Effnerstraße und der Cosimastraße. Das dazugehörige Wohnhaus, An der Salzbrücke 30, steht – ein wenig verändert – heute noch. Wie bei den meisten Ziegeleien errichtete man als Erstes einen Stadel zum Trocknen der Ziegel. Nach und nach entstanden Wohnhaus, Ziegelbrennofen, Maschinenhaus, Ställe und je nach Größe der Ziegelei mehrere Trockenstadel.

 

Wie auch andere Ziegeleibesitzer wollte Paul Sedlmair seine Arbeiter selbst mit Getränken versorgen. Im Jahre 1894 schaltete er sogar einen Münchner Rechtsanwalt ein, der weitere Verhandlungen mit dem Bezirksamt führte. Dieser schrieb, dass die Ziegeleiarbeiter den Besitzer dazu aufgefordert hätten, nach einem Bierausschanksrecht nachzusuchen, da sie zu ihren Mahlzeiten gerne ein Glas Bier genießen würden, aber keine Zeit hätten, zur nächsten Gaststätte zu gehen, um Bier zu holen. Im Jahr 1900 erteilte das Bezirksamt eine Schankerlaubnis für Paul Sedlmair, die aber spätestens 1906 ihr Gültigkeit verlor. Denn in diesem Jahr wiederholte Sedlmair sein Gesuch, für seine 80 bis 90 Arbeiter Branntwein ausschenken zu dürfen. Er begründete diesen unter anderem damit, dass der italienische Arbeiter nur durch eine gute Beaufsichtigung zu den ihm verpflichtenden Arbeiten angehalten werden kann. Ist diese Beaufsichtigung nicht gegeben, so wenn sich der Arbeiter in eine andere Branntweinschenke begibt und dort zum Sitzenbleiben angehalten wird, würde ihm nicht unerheblicher Schaden entstehen. Sedlmair wandte sich im Februar 1907 schließlich an die Regierung von Oberbayern, die zu klären hatte, ob Branntwein lediglich als »Lebensmittel« in geringem Maß als Zubehör zu den Mahlzeiten gilt und ob eine Erlaubnis zum Ausschank überhaupt benötigt wird. Da man aber von Amts wegen ein Bedürfnis nicht anerkennen wollte, beauftragte das königliche Bezirksamt den Bezirksarzt, ein ärztliches Gutachten über das Trinkverhalten der Arbeiter zu erstellen. Dr. Egger berichtete am 14. März 1907:

 

»Nach den von mir in obiger Sache eingezogenen Erkundigungen sind die Verhältnisse folgendermaßen gelagert: Viele der in den Ziegeleien um München beschäftigten Arbeiter enthalten sich des Branntweingenusses vollständig. In den Ziegeleien bei Ober- und Unterföhring kaufen sich einige italienische Arbeiter zu der ihnen vom Akkordanten gelieferten, aus Polenta und Käse bestehenden Nahrung einen Morgenkaffee oder Milch; andere Arbeiter nehmen früh nüchtern um 5, 10 oder 20 Pfennig Schnaps. Das Quantum wird auf einen Schluck hinuntergestürzt. Es gibt italienische Arbeiter, welche täglich 1–2 Liter Schnaps trinken. Der Schnapsverbrauch einzelner Verleitgeber ist Schwankungen unterworfen je nachdem ob sich unter der jährlich wechselnden Arbeitergruppe mehr oder weniger Alkoholiker befinden. Viele von den italienischen Arbeitern trinken Bier in mäßiger Menge, namentliche solche, die schon seit mehreren Jahren in die hiesige Gegend kommen. Während der Arbeit wird von den italienischen Arbeitern viel Wasser getrunken. Ein Verbot der Verleitgabe von Branntwein wird den Missbrauch des Alkohols nicht verringern. In der nahe gelegenen Stadt sowie in den Wirtschaften und Krämereien auf dem Lande ist stets Gelegenheit gegeben Branntwein zu kaufen.«

 

Der Sohn von Paul Sedlmair, Georg, beantragte gleichfalls ein paar Jahre später eine Konzession. Er begründete sein Gesuch mit der Tatsache, dass in dem gleichen Anwesen sein Vater von 1900 bis 1914 eine Arbeiterkantine und bis 1922 eine Schankwirtschaft betrieben hatte. Die Wirtschaft sei damals infolge Stilllegung der Ziegeleibetriebe nicht mehr rentierlich gewesen. Seit einigen Jahren seien jedoch sämtliche Ziegeleien wieder in vollem Betrieb, weshalb ein Bedürfnis zur Eröffnung der Wirtschaft wieder gegeben sei. Sedlmair betrieb im gleichen Anwesen schon einen Flaschenbierhandel. Bei ihm deckten die 30 Arbeiter des circa 150 Meter entfernt gelegenen Quetschwerks und Ziegeleibetriebes der Firma Heilmann & Littmann ihren Bedarf. Das Gesuch wurde im Juli 1929 abgelehnt. Paul Sedlmair hatte seine Ziegelei mit über 8 Hektar Grund im Februar 1919 an das Baugeschäft Heilmann und Littmann GmbH um 185 000 Mark verkauft. Das Baugeschäft wurde 1935 von der Heilmann und Littmann Bau-Aktiengesellschaft mit Sitz in München übernommen.

 

 

 

 

Auf dem nördlicheren Teil des Ziegeleigeländes befand sich der Ringofen mit dem angebauten Maschinenhaus und den Trockenstadeln. Nachdem die Firma Heilmann & Littmann die Produktion eingestellt hatte, wurden einige Gebäude anderen Nutzungen zugeführt. Die Trockenstadel baute man 1935 für die Arbeiter zu Unterkünften um und es wurden zusätzlich Baracken zu Wohnzwecken aufgestellt. An der nordöstlichsten Ecke errichtete man 1937 ein Gebäude mit Kantine und Büro im Erdgeschoss, und Brausebäder sowie eine Dienstwohnung im Dachgeschoss. 1943, als Ersatz für die zerstörten Gebäude in der Stadt, stellte die Baufirma – ohne Genehmigung – eine Bürobaracke vom Typ IV / 3 mit den Abmessungen 18 Meter mal 8 Meter auf. Diese Baracke und ein weiterer Trockenschuppen fanden ab 1946 als Unterkunft für die Bauarbeiter Verwendung. Das ehemalige Bürogebäude an der Cosimastraße 125, nun mit drei Wohnungen ausgebaut, befand sich später in städtischen Besitz und musste bis zum Februar 1964 von den damaligen Mietern geräumt werden, da es abgebrochen werden sollte.

 

Südlich des Ringofens lagen das Quetschwerk und die Kiesgrube, später als »Füllgrube« umfunktioniert. Auf dem südlichen Teil des Geländes befand sich das »Wohnlager«, bestehend aus drei Baracken, acht Behelfsheimen und ab 1952 einer Behelfskantine der Löwenbräu AG. Nach Kriegsende diente das Lager als Unterkunft für Flüchtlinge. Die drei Baracken hatten eine Größe von 100 bis 130 Quadratmetern und ein Behelfsheim mit je zwei Räumen hatte eine Grundfläche von 20 Quadratmetern. Im Februar 1948 schickte die Firma Heilmann & Littmann an den Stadtrat von München einen Brief mit einer Aufstellung über den Materialbedarf für die bessere Ausstattung ihrer Massenunterkünfte und »Familienunterbringungen«. Im Interesse der Flüchtlinge bat man dringendst um die erforderlichen Materialien, wie Glühlampen, Abflussrohre und 44 Spülklosetts mit Zubehör (ein Klosett für zwei Familien). Zudem sollten für jeweils 15 Familien ein Waschkessel zum Wäschewaschen aufgestellt werden, die Aborte eine Wasserspülung erhalten und die Ausstattung mit Koch- und Heizherden verbessert werden. Aber auch der Bewohner des Behelfsheimes Nummer 5 richtete am 10. März 1948 in einem Schreiben an das Wiederaufbaureferat der Stadt München seine Bitte um eine Baustoffzuteilung. Nachdem er seine Wohnung an der Lindwurmstraße durch Fliegerangriff verloren hatte, bewohnte er mit seiner Familie ein Zimmer und eine Küche. Für seine 18-jährige Tochter wollte er einen Raum an das Behelfsheim anbauen und bat um zusätzlich benötigtes Material. 1956 wohnten in der Baracke Nummer 3 insgesamt 32 Personen. Bei der damals durchgeführten wohnungsaufsichtlichen Überprüfung durch das Baureferat stellte man den sehr schlechten baulichen Zustand der Unterkunft fest. Die Baracke wurde zwar für Wohnzwecke als ungeeignet erklärt, aber im Hinblick auf den damaligen Wohnraummangel konnte sie weiterhin benutzt werden. Das Wohnlager wurde ab 1957 aufgelöst.

 

Die Kantinenbaracke errichtete die Löwenbräu AG trotz Einspruch der Anwohner mit einem Kostenaufwand von 12 900 DM. Die Nachbarn erklärten sich damals nicht bereit, den Bauplan zu unterschreiben, da sie sich in ihrer Ruhe gestört fühlten, und zwar nicht nur durch die Bewohner der naheliegenden Unterkünfte, sondern auch durch »Fremdländer« und amerikanische Soldaten. Die Löwenbräu AG, die ihren Antrag mit der Begründung stellte, dass die Bierversorgung des dortigen Flüchtlingslager, wie auch der südlich gelegenen Wohnanlage (Grimmeisensiedlung) unzulänglich sei, erhielt trotzdem die stets widerrufliche Genehmigung. Die Kantinenbaracke wurde erst 1966 beseitigt. Die ehemalige Kiesgrube wurde mit Bauschutt oder Müll aufgefüllt, alle noch bestehenden Gebäude bis zum Jahr 1980 entfernt und die heutigen Wohnhäuser errichtet. Ab 2004 fand der Verkauf der zum größten Teil vermieteten Wohnungen an der Cosima- / Wesendonkstraße durch die LEG Landesentwicklungsgesellchaft Baden-Württemberg mbH unter der Bezeichnung »Residenz Cosima – Wohnen im Park« statt. Eine Drei-Zimmer-Wohnung mit 98 Quadratmetern Wohnfläche kostete damals 258 400 Euro. Die Doppelhäuser an der Fideliostraße, heute »An der Salzbrücke«, und die Mietshäuser nördlich der Wesendonkstraße waren bereits ab 1955 errichtet worden.

 

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Quelle:

Bernst, Karin: Oberföhring. Vom Zieglerdorf zum Münchner Stadtteil 1913-2013, München 2013, S. 117ff.

 

Abbildungen:

oben: Familie Sedlmair, Anfang des 20. Jahrhunderts

unten: Vorderansicht des »Sedlmair-Wirtschaft«, Plan 1913/1914.