Beim Kramer

Ilse Feldmann erinnert sich

 

In einem kleinen Haus in der Hauptstraße [Ostpreußenstraße] befand sich der erste Denninger Kramerladen [Spereiwaren Forstmeier], der mich magisch anzog. Beim Türöffnen ertönte lautes Gebimmel und man stand in einem halb dunklen Raum voller würziger, unbekannter Gerüche. Die hohen Regale waren mit vielerlei Waren gefüllt; zwei Dinge waren recht wichtig: Kathreiners Malzkaffe und der Zichorie, der unentbehrlich für die Kaffeezubereitung war. Verpackt war er in rotem Glanzpapier, das sich gut zum Rotfärben von Backen und Lippen eignete. Aus großen schubladen wurde Mehl, Reis und Grieß in die "Stranitzen" [spitz zulaufende Papiertüten] geschaufelt und abgewogen. Auf der Ladenbudel [Ladentheke] stand die Balkenwaage mit den Wiegeschüsseln, im Gewichtbrett steckten schwere Eisengewichte und winzige Messingscheiben. Neben dem Zahlteller lag das Aufschreibbücherl, denn das "Aufschreiben" bis zum Zahltag am Freitag war damals oft üblich. Meine Mutter mochte das aber nicht.

 

Aus einem großen Glaskolben lief das gelbe Salatöl in die darunter gehaltene Flasche, am Glasbehälter war abzulesen, wieviel Öl herausgelaufen war. Der Weinessig wurde aus einer großen Korbflasche abgefüllt. Ein Teil des Ladentisches war vollgestellt mit Leckerbissen aller Art, besonders verlockend die Riesendosen mit Brat- und Bismarckhering. Die Heringe wurden meist im Suppenteller geholt wegen der Soß' und wegen der Zwiebelringe. Appetitanregend waren auch die Mettwurst, die Kochsalami, die Landjäger und die Speckwurst, die an einer Stange hingen. Nicht übersehen konnten wir Kinder die Guatlgläser [Bonbongläser] mit Karamellen, Minzenkugeln, Hustenguatln und "Bärendreck" [Lakritze].

 

In einer anderen Ecke des Ladens konnte man aus einem bunten Durcheinander auswählen: Schuhwichse, Schmierfett, Wetzsteine, Bürsten, Nägel, Flickzeug und sogar das für das Radllicht benötigte "Karbid" war zu haben. Auf dem Boden lagerte das Bündelholz, das waren mit Draht umwickelte trockene Holzscheite, die zum Anheizen gebaucht wurden.

 

Neben dem Gemischtwarenladen war der Eingang zum "Milliladl", denn der getrennte Verkauf von Molkereiprodukten war Vorschrift. Die Milch wurde täglich im Milchkübel, dem "Millikandl", geholt. Im Sommer "stöckelte" auf den Regalen des Ladls in braunen, irdenen Schüsseln, den "Weitlingen", die Milch, denn "Gestöckelte" mit Brot war ein beliebtes Abendessen. Den Schlagrahm kannte ich nur vom Hörensagen, denn seine Herstellung war im Rahmen irgendeines Planes verboten worden. Dafür gab es aber noch die billigere Magermilch, "blauer Heinrich" genannt.

 

Das Milchholen war meist Aufgabe der Kinder. Während die Kleinen sorgsam und gewissenhaft ihre Pflichrt erfüllten, machten die größeren Kinder Kunststücke. Sie schleuderten den vollen Kübel so schnell es ging im Kreis herum. Stand er am obersten Punkt "auf dem Kopf", so spritzte trotzdem kein Tropfen heraus. Gelang der Versuch aber nicht, war das Unglück groß.

 

 

 

 

<< zurück zum Textanfang

 

 

 

Aus: Karl, Willibald (Hg.): "Dörfer auf dem Ziegelland", München 2002.