"Beweg' dich, dann bewegt sich was"
Denningerstraße 3
Tauschen die beiden
kleinen Freundinnen gerade Geheimnisse aus? Oder warum grinsen sie sich sonst so
verschwörerisch an? Schmollt einer der auf dem Rasen kauernden Jungs? Ereignet
sich gar eine kleine Eifersuchtsgeschichte zwischen den Kindern? Ist der über
die Schulter der weiblichen Protagonistin blickende Kerl nicht bis über beide
Ohren in das Mädchen verschossen? Die Figurenkonstellation ist in Jens Schwarz‘
im Grünen abgehaltenen ‚tête à tête‘ der Kinder derart offen gehalten, dass man
ein vielfältiges Beziehungsgeflecht in die Gesten und Verhaltensweisen
hineindeuten kann. Dabei hat Schwarz die fünf kleinen Akteure ohne jeden
inszenatorischen Eingriff im situativen Zusammensein dokumentiert. Circa 600
Aufnahmen waren nötig, bis das Aufeinandertreffen der drei Jungs und zwei
Mädchen in einem beiläufigen und atmosphärisch stimmigen Licht erschien. Und
doch glaubt man nun einem kleinen Schauspiel beizuwohnen. Nicht zuletzt, weil
die beiden an der Kindergartenfassade (Denningerstraße 4, Denning) über Eck
gestellten und dank einer spezifischen Linsenfolien–Technik möglich gewordenen
Fotosequenzen sich im Vorbeigehen zu einem räumlichen Handlungskontinuum
vereinen. Wie bei Erwachsenen zeichnet sich schon unter den Kindern das
wechselhafte Szenario von Zuneigung und Abwehrhaltung ab.
"Beweg‘ dich, dann bewegt
sich was" - das Sponti-Motto aus aktionistischen Tagen wird von Jens Schwarz mit
einer zweiteilige Fotoinstallation mit Wechselbildsequenzen (Größe je 240 x 120
cm) auf doppeldeutige Weise neu interpretiert. Einmal als Appell an die Kinder,
sich aktiv ins spielerische Geschehen einzuschalten. Zudem ist die
Kindergartenzeit die erste Abnabelungsphase von den Eltern und der Beginn eines
langen Prozesses der sozialen Integration. Dann reflektiert der Titel natürlich
auch das sich erst durch den ständigen Positionswechsel des Betrachters
ergebende Animationsbild von zwei mal drei Szenen. Dank der Lentikulartechnik,
wie sie gerade in den Sechzigerjahren bei 3D-Postkarten gebräuchlich war,
konnten jeweils drei Szenen in die beiden aus gewölbten Rillen bestehenden
Fototafeln zu einem Wechselbild eingeschrieben werden. Es gibt allerdings einen
beiden Sequenzen gemeinsamen Fluchtpunkt an der Gebäudeecke. Von gewissen
Betrachterperspektiven aus hat man zudem den Eindruck, das eine oder andere nur
mehr verschwommen sichtbare Kind würde förmlich wie ein Phantom im Grün
verschwinden. Dadurch verstärkt sich der ephemere Charakter des beobachteten
Kinderspiels. Nichts bleibt statisch, alles ist im Fluss. Jens Schwarz hat eine
aus dem amerikanischen Trivialbildbereich bekannte Technik mit Raffinesse in die
architektonischen wie psychologischen Gegebenheiten eines Kindergartenterrains
übersetzt.
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Quelle: Birgit Sonna in: www.quivid.com
Foto: Jens Schwarz