Siedlung an der Evastraße

(Englschalking)

 

Englschalkinger Siedlung" war 1935 die provisorische Bezeichnung für eine wilde Siedlung, deren Baulinien nicht festgelegt waren, auch führte keine richtige Straße dorthin. Die Siedlung lag auf dem Gebiet der heutigen Eva- und Ortlindestraße und dem damaligen Feenplatz. Der Grund wurde zum teil vom Ziegeleibesitzer Matthias Grundler als Heimgärten mit durchschnittlich 0,07 Hektar Fläche im Wert von zirka 1700 Goldmark ab dem Jahr 1930 verkauft. Hier errichteten sich Münchner und Zugezogene einfache Hütten, um der Wohnungsnot in der Stadt zu entrinnen. Schon während des Ersten Weltkriegs war der Wohnungsbau in München fast zum Erliegen gekommen und der Bedarf an neuen Wohnungen stieg nach 1918 nochmals an. In der Stadt versuchte man die Not an Wohnraum durch Dachausbauten, Umnutzung von Fabriken und Kasernen oder durch die Teilung von Großwohnungen zu lindern. Bei der Wohnungszählung im Jahr 1925 wurde die Überfüllung einzelner Wohnungen deutlich. In sieben Prozent der Wohnungen lebten mehr als zwei Personen je Wohnraum, mitunter teilten sich bis zu zehn Personen einen Wohnraum. Durch die hohen Grundstückspreise wichen die Bauwilligen auf billigere Grundstücke außerhalb der Stadt aus. Nach der Überwindung der Inflation im Jahr 1923 setzte eine rege Neubautätigkeit ein, die mit der Weltwirtschaftskrise um 1930 wieder ein Ende fand. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 spielte neben der Abschaffung der Arbeitslosigkeit auch das Wohnungsbauprogramm eine wesentliche Rolle. Das Kleinsthaus mit Garten wurde zum Idealtyp des nationalsozialistischen Wohnens erklärt.

 

Im Münchner Adressbuch von 1935 sind für die Evasiedlung 28 Anwesen aufgelistet, wovon die Hausnummern 19 bis 28 als Rückgebäude bezeichnet wurden. In den zumeist erdgeschossigen Behausungen wohnten Menschen mit den verschiedensten Berufen: Hilfsarbeiter, Maurer, Sattler, kaufmännischer Angestellter, Brauer, Kolonialwarenhändlerin, Büglerin, Polizeihauptwachtmeister. Zwei Jahre zuvor hatten sich die Bewohner der Siedlung zu einem Verein "Interessenvereinigung der Englschalkinger Siedlung München 27 e.V." zusammen. Ziel der Vereinigung war es, die Interessen ihrer Mitglieder in allen wirtschaftlichen Fragen zu vertreten und ihnen mit Rat und Tat beizustehen. So zum Beispiel bei der Beantragung von Gas, Wasser, Elektrizität, bei der Regelung der Verkehrsfragen, des Straßenbaues, der Umzäunung, der Kanalisierung und Pflasterung. Weiterhin sollten die Abhaltung von gemeinnützigen Vorträgen, die Volksbildung und die Geselligkeit gepflegt werden. Mitglied konnte jede Person ab dem 20. Lebensjahr werden, die im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte war. Die Aufnahmegebühr betrug eine Goldmark (später Reichsmark), der Jahresbeitrag drei Pfennige. Die Interessenvereinigung selbst wurde Mitglied im "Hauptverband der Siedler Heimstätten und Interessenverbände München und dessen Umgebung e.V.".

 

Zur Genehmigung des Vereins wurde der zweite Vorstand im Mai 1933 von der Polizei vernommen. Folgende Angaben wurden gemacht: "Die politische Einstellung ist nationalsozialistisch, verschiedene Vorstandsmitglieder gehören der SA an. Irgendwelche politische Bindung des Vereins besteht nicht. Der Verein zählt etwa 35 Mitglieder. Eine Satzung konnte nicht beigegeben werden, da der Verein nur noch eine besitzt." Danach folgte die Angabe der Personalien der neun Vorstandsmitglieder. Der am 18. März 1933 gegründete Verein wurde zur Eintragung ins Vereinsregister am 27. Mai 1933 beim Amtsgericht München angemeldet. Ein Einspruch gegen die Eintragung wurde nicht erhoben. Schon in der Mitgliederversammlung vom 5. Januar 1935 wurde die Auflösung des Vereins beschlossen und die Löschung beim Amtsgericht beantragt.

 

Heute sind die provisorischen Behausungen längst verschwunden die meisten Neubauten stammen aus den 1960er-Jahren Strom, Wasser und so weiter sind längst verlegt worden.

 

 

 

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Textquelle: 

Karin Bernst, Die Siedlung an der Evastraße, in: Ein Spaziergang durch den Münchner Nordosten, Kalender 2010.

 

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