Villa Hertz
Möhlstraße 30
Die Privatière Klara Hertz ließ im Jahr 1907 die Doppelvilla Möhlstraße 30/30a erbauen, deren ersten, südlichen (und erhaltenen) Teil (HsNr. 30) sie bis zu ihrem Tod selbst bewohnte. Ihre Erben und Nacheigentümer – das Arztehepaar Dr. Hans und Luise Herrmann – wurden während des »Dritten Reiches« enteignet1, die Villa zur »Judenvilla« erklärt. Wie in der Villa Möhlstraße 9 wurden hier die nach dem Pogrom am 9. November 1938 aus ihren bisherigen Wohnungen und Häusern vertriebenen Juden der Möhlstraße zusammengepfercht und von der übrigen Bevölkerung isoliert. So begann für alle Juden der Möhlstraße der Weg, der bestenfalls noch in der Emigration, zum großen Teil aber mit der Deportation und dem Tod in den Konzentrationslagern führte. So lebte hier unter anderem ab 1939 etwa Elsbeth und Hedwig Engelmann. Mutter und Tochter wurde 1942 deportiert und ermordet.
Die Besitzer der Hertz-Villa, das Ehepaar Herrmann, konnte noch Anfang 1940 nach Palästina auswandern. Hilfe wurde ihnen dabei durch das Münchner Ehepaar Rudolf und Annemarie Cohen gegeben, die zwischen November 1938 und Dezember 1941 rund 200 Mitbürger jüdischer Herkunft retten konnte, indem es Kontakte vermittelte, bei der Ausreise half und finanzielle Unterstützung organisierte. In den authentischen, erhaltenen »Besucherprotokollen«, Blatt 109, der Cohens, die der »Religiösen Gesellschaft der Freunde« also den Quäkern, angehörten, heißt es zu Hans Herrmann:
Aufnahmedatum: 23. Nov 39
Geschickt durch Pfarrer Bauer
Name: Herrmann, Dr. med.
Vorname: Hans
Alter: 59 J. a.
Konfession: j. K.
Ehepartner: Luise (Herrmann), geb. Schroeder 49 J. a.
Adresse: Möhlstraße 30
Kinder: Kinder aus erster Ehe ausgewandert
Kriegsteilnehmer: War 3 Jahre im Feld
[Gesundheitszustand, Haft]: war 16 Tage in Dachau
Beruf (Antragsteller): allg. Arzt, pflanzliche Diät
bisher Unternommenes: Hatte Vertr[ag] mit engl. Ges[ellschaft]. als Leiter eines Sanatoriums in Nizza durch Patienten / sollte 1. März in London antreten, bekam aber keine Pässe; durch privaten / Patienten vermittelt, Musiker, Orgelspieler. / vorläufig kein Visum. // war [Wort durchgestrichen] 30-1934 in Sard[inien?] ausgewandert, mußte zurück. weil Devisen in [letzten 2 Wörter durchgestrichen] Geld nicht genehmigt wurde, / Mann hat Paß gültig bis Juni 1940, jetzt in Stadelheim
Was ist zu veranlassen? Soll Frau Rosenberg fragen, ob sie Wege weiß, den Mann aus Stadelheim / zu bringen, / Wenn der Mann frei ist, wollen wir Philadelphia eventuell versuchen / es wäre möglich, daß Billett bezahlt würde durch Mr. P. / das Haus Möhlstr. gehört dem Mann, jetzt belegt mit 3 Familien, 8 Personen / Nizza soll geräumt sein, Sanatorium da also nicht möglich. [es folgt Nachtrag in Bleistift] Vormerksnummer Stuttgart?
1952 erhielt die Arztwitwe Luise Herrmann die Villa zurück, sie beherbergte bis 2012 die Abteilung für Kinder- und Jugendpsychotherapie der Klinik der Technischen Universität rechts der Isar und gehörte zur Immobilie der Möhlstraße 28. HsNr. 30a in der Möhlstraße wurde 1962 abgerissen und das Flurstück der Möhlstraße 32, der heutigen Moll-Villa, zugewiesen. Das Grundstück der ehemaligen Herz-Villa reicht mit seinem Gartenteil bis zur Ismaninger Straße und verwahrloste jahrelang. 2012 wurde sowohl das Gebäude Möhlstraße 30 als auch die ehemalige Reis-Klinik, Möhlstraße 28, vom Immobilienunternehmen Ritter Finest Real Estate erworben. Das Gebäude in der Möhlstraße 28 wurde abgerissen und auf dem Grundstück ein Neubau errichtet, die ehemalige Hertz-Villa wurde verkauft, das Gebäude ist (noch) erhalten. Der Verein für Stadtteilkultur im Münchner Nordosten e.V. unterstützte einen 2020 durch einen Privatmann gestellten Antrag bei der Stadt München, dass die Denkmaleigenschaften der Villa überprüft werden sollen. Man hofft, dass das Gebäude auf diese Weise einem Abriss entgehen kann. Siehe auch NordOstMagazin Ausgaben 2020 (S. 27) und 2021 (S. 27).
Verwahrlostes Grundstück von der Ismaninger Straße aus gesehen
1 Stadtarchiv München: Möhlstraße 30, Flurstück Nr. 249 1/3. Enth.: Verkauf durch Dr. Hans Herrmann an Vermögensverwertung München GmbH; Verkauf für Dr. Hans Herrmann an Dr. Karl Leoprecht und Anna und Dr. Franz Strohmeier; Vollzug des Wohnsiedlungsgesetzes. 1938, 1940-1944, 1948". URL: https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=16&ved=2ahUKEwiGm9SLrKLiAhXCalAKHYU-DqMQFjAPegQIBxAC&url=https%3A%2F%2Fwww.muenchen.de%2Frathaus%2Fdam%2Fjcr%3Aecd1769b-16c9-4740-a759-1dcdd146f1c6%2FKommunalreferat_Jued_Vermoegen_online.pdf&usg=AOvVaw2_pcXD7SsGxdyq8G9sk5py
Textquellen:
Benedikt Weyerer: München 1933–1949, München 2006.
Peter Zahn (Hg.): Hilfe für Juden in München. Rudolf und Annemarie Cohen und die Quäker 1938–1941, Studien zur jüdischen Geschichte und Kultur in Bayern, Band 9, München 2013.
Fotos von oben nach unten:
Herz-Villa, Möhlstraße 30;rechts hinter den Bäumen liegt die Moll-Villa, Möhlstraße 32 (vormals Wannieck-Villa), links ragt eine Seitenwand der ehemaligen Klinik Dr. Reis (heute abgerissen) ins Bild © dietlind pedarnig, 2007.
Aktion von Wolfram P. Kastner vor der Villa Möhlstraße 30 im November 2004 zur Erinnerung an deren jüdische Bewohner. © Wolfram P. Kastner.
Ausschnitt Fassade Herz-Villa von der Möhlstraße aus gesehen © dietlind pedarnig, 2007.
Die Rückseite der Herz-Villa an der Ismaninger Straße, abgesperrt durch einen provisorischen Bauzaun. Im Hintergrund links ist die Pschorr-Villa, Möhlstraße 23 zu erkennen © dietlind pedarnig, 2008. Ganz links das im Sommer 2012 abgerissene Gebäude an der Möhlstraße 28.