Die »Reichskleinsiedlungen«

 

Die Folgen der Weltwirtschaftskrise hatten in Deutschland 1931 ihre stärksten Auswirkungen. Es gab sieben Millionen Arbeitslose. In den damaligen Notverordnungen des Reichspräsidenten ging es auch um vorstädtische Kleinsiedlungen und Bereitstellung von Kleingärten für Erwerbslose. Ziel war die Arbeitsbeschaffung die sogenannte Reichskleinsiedlung war dabei Mittel zum Zweck. Beim Bau von Kleinhäusern dieser typischen Siedlungsart der 1930er-Jahre wurden verschiedene Stempel-, Gebühren- und Steuerbefreiungen gewährt und billige Darlehen zur Verfügung gestellt. Die Kleinhäuser waren möglichst einfach zu gestalten, als eingeschossiges Einfamilienhaus mit ausbaufähigem Dach oder als Doppelhaus. Die ersten Reichskleinsiedlungen nach den Richtlinien der Notverordnung vom 6. Oktober 1931 wurden in München in Zamdorf, Am Perlacher Forst und in Freimann (siehe Abbildung oben) gebaut und ab Herbst 1932 bezogen.

 

Die Bestimmungen zur Förderung von Kleinhaussiedlungen wurden 1933 nach der Machtübernahme Hitlers vorerst nicht gravierend geändert. Erst ab Herbst 1933 gab es eingreifende Maßnahmen, bezogen auf die Siedlungspolitik und den Wohnungsbau. 1934 wurden ein Reichssiedlungskommissariat und ein Reichsheimstättenamt eingerichtet, der Siedlungsbau unterlag der Kontrolle des Reiches. Josef Platen beschrieb »die neue Zeit im Siedlungswesen«, bezogen auf die Mustersiedlung Ramersdorf. Über die Aufgaben der Frau im neuen Siedlungshaus schrieb er:

 

Siedeln heißt also: sich bescheiden. In der Gartenarbeit wird die häusliche Hauptaufgabe des Mannes liegen, die Frau soll hier die Früchte, den Kopfsalat, die Erbsen, Bohnen und Möhrchen und die Blumen ernten. Das ist, wenn sie dafür Verständnis hat – und das haben die meisten Frauen – ihr größter Anteil an der Siedlerfreude. Das eigene Ei von eigenen Hühnern dazu. Aber siedeln heißt auch bescheiden sein im Wohnraum. Und hier beginnt im Siedlungswesen das eigentliche Reich der Frau. Der Baumeister der neuen Zeit hat sich um den Grundriß des neuen Siedlungshauses geplagt. Hier spricht schon viel Erfahrung mit. Aber an einem kommt er nie vorbei: der Grundriß entscheidet in seinem Umfang über die Gestehungskosten des Hauses. Deshalb heißt es hier wiederum bescheiden sein, wenn man billig wohnen will. Also verhältnismäßig wenige, kleine und niedrige Räume. Die vornehmste Aufgabe der Frau des Siedlers aber ist es, aus den Räumen ein Heim zu schaffen. Die Zeiten sind ja glücklicherweise vorbei, in denen die stilkitschig geschnitzten Möbel so breit und so hoch waren, daß sie Löcher in die Decke stießen.

 

Das eigentliche Reich der Frau im Hause ist die Küche. Sie wird in Zeiten vereinfachter Lebensgestaltung unseres Volkes oft zur Wohnküche. Diese Entwicklung mußte sie vor allem in Siedlungsbezirken nehmen, in denen die Raumfrage zur Daseinsfrage der Bewohner wurde.

 

Das Beiwerk fällt weg, die klare Sachlichkeit kommt – oft bis zur Nüchternheit – zur Geltung, auch in der Ausstattung der Küche und in der Beschränkung des Hausgeräts. Die Maschine soll der Hausfrau helfen, aber sie soll sie nicht beherrschen. Nun darf gerade das Reich der Frau nicht durch Nüchternheit entseelt werden. Dagegen sträubt sich schon der Schönheitssinn des weiblichen Geschlechts. Frauen haben immer verstanden, den Dingen des täglichen Gebrauchs Farbe und Freudigkeit zu verleihen. So etwas kann ja auch mit den billigen Mitteln erreicht werden, die einem Siedlungshause entsprechen.

 

 

Typische »Reichkleinsiedlungen« im Münchner Nordosten sind:

»Afrika«-Siedlung« (Zamdorf)

Siedlung-Steinhausen (Steinhausen)

»Zahnbrechersiedlung« (Johanneskirchen)

 

 

 

Text: Karin Bernst: Johanneskirchen. Das Dorf 815-2015, München 2015.