In
der Kunst von Rita McBride spielt Architektur als Ausgangs- und Bezugspunkt, als
Form- und Konstruktionsprinzip eine besondere Rolle. So rekonstruierte sie etwa
bestehende Parkhäuser in Form skulpturaler Modelle, oder konstruierte,
abgeleitet aus Designelementen, „Arenen“ als tatsächlich benutzbare Tribünenarchitekturen.
In Fortsetzung und Überwindung minimalistischer Traditionen setzt sich Rita
McBride immer wieder mit dem Verhältnis von seriellen Konstruktionselementen
und Volumen, von Funktion, Design und Bedeutung auseinander.
In diesem Sinne besticht auch ihre für den Effnerplatz entworfene
Architektur-Skulptur. Die klare und aufs Notwendigste beschränkte Konstruktion
besteht aus 32 gleichen Carbonstäben. Sie bilden ein 52 Meter hohes
Rotationshyperboloid, einen streng geometrischen Körper, der durch die
Drehbewegung der Stäbe über einer Kreisform entsteht. Das meist im Bootsbau
verwendete Carbonfasermaterial wurde bisher noch nie in dieser Dimension
eingesetzt – es ermöglicht, im Gegensatz zum schweren Stahl, Leichtigkeit und
konstruktive Eleganz. Die linearen Stäbe erzeugen eine flächige Netzstruktur,
die wiederum ein Körpervolumen formt. Blickt man von innen nach oben ergeben
sich vor dem Himmel lineare Muster. Von der Ferne gesehen kann die Skulptur
zusammen mit den umgebenden Hochhäusern wie ein gebautes Stillleben erscheinen.
Gewöhnlich kommt Architekturen eine Funktion zu, Rita McBrides Architektur-Skulptur hingegen ist Selbstzweck. Ihre Funktionslosigkeit und Form regt die Fantasie zu den unterschiedlichsten Assoziationen an. McBride nennt sie wie die Hollywood-Schauspielerin Mae West. Für sich betrachtet ist die Skulptur Selbstzweck, im Stadtgefüge wird sie zum markanten zeitgenössischen Stadtzeichen, das dem von äußerst unterschiedlichen Gebäuden umstellten Platz eine Mitte verleiht und ihn gleichzeitig als Verkehrsknotenpunkt markiert.
Der
Wettbewerb
Der Effnerplatz ist Teil des Tunnelbauprojektes „Mittlerer Ring Ost“.
Hier verschwindet der Isarring, vom Westen her kommend, in den Tunnel, um gleich
danach bei der Richard-Strauß-Strasse wieder an die Oberfläche zu kommen und
den Blick auf die „Skyline“ des Arabellaparks freizugeben. Dann taucht der
Ring wieder ab und tritt erst wieder am Leuchtenbergring zu Tage.
Im Rahmen des Münchner Kunst am Bau Programms QUIVID und der städtischen
2%-Regelung wurde auch für dieses stadträumlich wichtige Bauprojekt ein
Kunstbudget vorgesehen. Wegen der finanziellen Größenordnung des Bauvorhabens
wurde der Kunstetat auf ca. 0,4% beschränkt. Als Standort wählte die für die
fachliche Beratung zuständige „Kommission für Kunst am Bau und im öffentlichen
Raum“ den Effnerplatz aus, der in seiner topografischen Lage an der
Isarhangkante eine wichtige Zäsur darstellt zwischen den Hochhäusern im Osten,
der Wohnbebauung im Südwesten und Norden sowie dem Landschaftspark des
Englischen Gartens. Baureferat und Kunstkommission baten im Jahre 2002 acht Künstlerinnen
und Künstler, Ideen für diesen Ort zu entwickeln.
Die Entscheidung
In ihrer Sitzung am 30.01.2003 empfahl die Kunstkommission einstimmig, die
amerikanische Künstlerin Rita McBride um eine Präzisierung ihres Vorschlages
zu bitten. In der Sitzung am 20.03.2003 wurde das erste Ergebnis der Präzisierung
positiv bewertet und beschlossen, die Idee weiterzuverfolgen. Die
Stadtgestaltungskommission schloss sich in einer gemeinsamen Sitzung mit der
Kunstkommission am 15.07.2003 im Rathaus dieser Auffassung an. Die Künstlerin
wurde um eine differenziertere Präzisierung gebeten, anhand derer die
technischen und genehmigungsrechtlichen Fragen geprüft werden können.
Der zweite überarbeitete Vorschlag wurde von der Kommission zur Realisierung
empfohlen. Nach mehreren Informationsveranstaltungen für die Anlieger und die Bürger
des Stadtquartiers sprach sich auch der örtliche Bezirksausschuss am 15.06.2004
für das Projekt aus. 2004 beschloss der Stadtrat, das notwendige
Bauleitplanverfahren einzuleiten, das als planungsrechtliche Grundlage für den
Bau dieses Kunst-Bauwerks notwendig war. Das Verfahren kam am 10.10.2007 mit dem
Billigungsbeschluss des Stadtrates zu einem positiven Abschluss. Der
Bebauungsplan wurde im März 2008 rechtsgültig. Wegen des neuartigen Materials
und der innovativen Technik war anschließend noch eine „Zustimmung im
Einzelfall“ der Obersten Baubehörde erforderlich.
Die Realisierung
Für die Realisierung des komplexen Kunstwerkes wurde die
„Arbeitsgemeinschaft Kunstwerk Mae West am Effnerplatz in München“,
bestehend aus der Künstlerin Prof. Rita McBride und der CGB Carbon Großbauteile
GmbH, gegründet. Am 30. Januar 2011 wurde das Kunstwerk mit dem finalen Einhub
des Oberteils fertig gestellt. Die Tram St. Emmeram wird allerdings erst nach
dem Gleiseinbau und der Oberflächengestaltung das Kunstwerk passieren. Dies ist
Ende 2011 geplant.
Die
Idee
Rita McBride schlug für den Effnerplatz eine 52 Meter hohe Turmskulptur
vor, die einerseits in der städtebaulich heterogenen Situation zwischen zweistöckiger
Reihenhausbebauung und angrenzenden Hochhäusern (zum Vergleich: das
Hypo-Hochhaus misst 114 Meter, das Westin Grand Hotel 75 Meter) gewissermaßen
„vermittelt“ und andererseits diesem Verkehrsknotenpunkt im Nordosten Münchens
eine deutliche Markierung gibt.
Die Form
Die geometrische Grundform der Skulptur, die die Künstlerin aus dem Kreis und
einer Drehbewegung entwickelt hat, bezieht sich zum einen auf den kreisrunden
Effnerplatz selbst, wie aber auch auf das gesamte Projekt des Mittleren Ringes,
der als Verkehrsring das Stadtzentrum Münchens „umrundet“. Die Höhe der
Skulptur wird durch die filigrane Gitterstruktur der Stab-Konstruktion zurückgenommen,
welche ein größtmögliches Maß an Durchlässigkeit, Transparenz und Offenheit
erlaubt. Während der Durchgangsverkehr unter der Tunneldecke dahin fließt,
wird die Straßenbahn die Skulptur durchqueren. Auf Grund der Einfachheit und
Eleganz der Arbeit traut man es ihr zu, den bisher vom Verkehr dominierten Platz
mit seiner heterogenen Umgebung in einen städtischen Ort zu verwandeln, in dem
die Dynamik städtischen Lebens nicht nur akzentuiert, sondern auch symbolisch
verdichtet wird.
Das Material
Mae West hat nichts mit historischen Vorbildern des 19. Jahrhunderts, etwa
Ingenieurbauwerken wie dem Eiffelturm, zu tun, sondern ist deutlich ein Produkt
unserer Zeit. Die Stäbe bestehen noch bis zum ersten Ringträger in 15 m Höhe
aus Stahlrohren, die mit carbonfaserverstärktem Kunststoff (CFK) ummantelt
sind. Oberhalb dieses Ringes werden die Rohre jedoch vollständig aus CFK
hergestellt, wobei sich die Stäbe von unten nach oben verjüngen, von 275 mm
auf 225 mm Durchmesser. Diese schier unglaubliche Schlankheit ist möglich durch
das Material, das eine extreme Leichtigkeit mit hoher Stabilität und
Dauerhaftigkeit kombiniert, und bisher vorwiegend im Bootsbau Verwendung fand.
Die einzelnen Rohre des oberen Teils sind 40 m lang und wiegen jeweils ca. 550
kg (ein Sechstel eines vergleichbaren Stahlrohres). Die gesamte obere
Carbonkonstruktion wird vor Ort montiert und anschließend mit einem Kran auf
die bereits stehende Stahlkonstruktion gehoben und mit dieser verbunden.
Die elegante Form, das ungewöhnliche Material und die verblüffende
geometrische Konstruktion werden das Interesse wecken, dieses fragil wirkende
Bauwerk auch aus der Nähe kennen zu lernen und räumlich zu erleben. Ähnlich
wie bei Olafur Eliassons Kugel in den Fünf Höfen werden sich im Innern der
Figur für den Betrachter völlig neue Perspektiven ergeben. Er wird Lust
bekommen, die Geometrie der Arbeit zu entschlüsseln. Die Arbeit funktioniert
also sowohl in der Fernwirkung - etwa für die Autofahrer, die sich dem
Effnerplatz nähern - als auch im direkten Erleben vor Ort für den Passanten
oder Fahrgäste der Tram.
Der Titel
Die taillierte Silhouette der Skulptur inspirierte die Künstlerin zum Titel
„Mae West“. Er bezieht sich auf das amerikanische Sex-Symbol Mae West, die
in den 1920-er Jahren auf den Broadway-Varietébühnen ihre ersten Erfolge
feierte und bald zu den bestbezahlten Filmstars Hollywoods gehörte. Mit
Partnern wie Cary Grant drehte sie später höchst erfolgreiche Filme. Ihre
selbstbewusste Erotik, ihre langen Beine und ihre schlanke Taille, aber auch ihr
loses Mundwerk waren legendär. Ihre Mutter Matilda Doelger stammte übrigens
aus Bayern.
Text: Heinrich Schütz, in: www.quivid.de
Abbildungen von oben nach unten:
"Mae West" / Ausschnitte 2012; Fotos: Haubitz + Zoche
"Finale" beim Aufbau der Monumentalskulptur am 30. Januar 2011; Foto: Haubitz + Zoche
Der Aufbau der Skulptur von der Richard-Strauss-Straße aus gesehen (Herbst 2010); hpt © Verein für Stadtteilkultur im Münchner Nordosten e.V.
Bauarbeiten an »Mae West». © Baureferat Stadt München, Oktober 2010.