»Die Haustür befand sich auf der Rückseite des Hauses. Man betrat einen Vorraum mit einer Garderobe, der in eine holzgetäfelte Diele mit hohen Bücherschränken an allen Wänden, einem Kamin und einer Treppe nach oben führte. [...] Auch begrüßte einen hier der russische ausgestopfte Bär aus dem Lübecker Elternhaus mit seiner hölzernen [Anm. sie war aus Messing] Visitenkartenschale [...]. Von der Diele ging es auf der einen Seite in den Salon [...] auf der anderen Seite in das große Eßzimmer, das sich auf eine gedeckte Veranda oder Terrasse öffnete, die auf der Höhe des ersten Stocks eine zweite balkonartige Terrasse bildete [...]. Den Mittelteil zwischen Salon und Eßzimmer nahm Thomas Manns geräumiges Arbeitszimmer mit der Flügeltür und der Steintreppe zum Garten ein. Der Schreibtisch stand in der Rondell-Wölbung, so dass er von drei Seiten Licht erhielt [...]. In der oberen Diele aßen die Kinder [...].«
Soweit der Bericht von Peter de Mendelssohn über die Villa in seiner Biografie »Der Zauberer. Das Leben des Schriftstellers Thomas Mann« (1918).
Thomas Mann in der Poschingerstraße 1, 1924
Thomas Mann und Katia Mann auf der Treppe vor ihrer Villa Poschingerstraße 1 sitzend, ca. 1925
Feier zu Thomas Manns 50. Geburtstag, 6. Juni 1925, Villa Poschingerstraße 1.
Elisabeth und Michael Mann auf der Treppe vor der Villa Poschingerstraße 1 sitzend, ca. 1928
Familie Mann auf der Veranda an der Poschingerstraße 1, August 1930
Familie Mann im Speisezimmer an der Poschingerstraße 1; August 1930
Dirk Heißerer, Vorsitzender des Thomas-Mann-Förderkreises München e.V., gib in einem Internetbeitrag eine detaillierte Beschreibung der Räume und ihrer Nutzung durch die Familie Mann sowie einen ausführlichen Abriss der gesamten Haus-Geschichte: http://www.tmfm.de/dokumente/dieposchi.pdf
Von außen war die »Poschi«, wie die Villa von den Manns genannt wurde, im Stil der Nymphenburger Kavaliershäuser gehalten, mit vorspringendem, halbrundem Mittelrisalit und hohem Mansarddach. Sie weist im Übrigen verblüffende Ähnlichkeit zur Nachbarvilla Poschingerstraße 2, auf. Die nur einige Jahre früher, 1908, entstandene und viel gelobte herrschaftliche Villa für Freiherr von Gumppenberg (Architekt Eugen Drollinger) inspirierte die Gebrüder Ludwig mehr als offensichtlich ...
Der Bau der »Poschi« hat den Schriftsteller so »ausgepowert«, wie er im Juni 1914 selbst bekennt, dass es sich zur allergrößten Sparsamkeit gezwungen sieht. Er arbeitet hier unter anderem an der Erzählung »Herr und Hund«, an den »Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull«, am Roman »Der Zauberberg« und an der Trilogie »Josephus und seine Brüder«. Von hier aus erhält er 1929 die Nachricht von der Verleihung des Nobelpreises und von hier aus geht er nach der Machtergreifung Hitlers ins Exil. Die Mann-Villa war beinahe 20 Jahre lang Treffpunkt vieler Schriftsteller und Künstler. Hermann Hesse, Hugo von Hofmannsthal, Gerhard Hauptmann, Frank Wedekind, André Gide, Heinrich Mann, Bruno Walter, Wilhelm Furtwängler und andere waren mehr oder weniger häufig Gast bei den Manns in ihrem großräumigen Haus.
Elf Tage nach Hitlers Machtergreifung 1933 verließ Familie Mann die Villa in Bogenhausen und zog ins Exil nach Arosa in der Schweiz. Das Haus wurde von der Bayerischen Politischen Polizei beschlagnahmt. Nur wenige Möbelstücke und einige Bücher gelangen noch zur Familie, alles andere wurde versteigert. Nach der Enteignung der Villa zugunsten des Deutschen Reichs im Jahr 1937, zog ein Jahr später eine Zweigstelle des »Lebensborn e.V.« in die Räume ein. Das durch Bomben im Krieg schwer beschädigte Haus beherbergte nach 1945 bis zu 50 Flüchtlinge aus Osteuropa inklusive Ziege und Pferden. Thomas Mann war entsetzt als er 1951 den Zustand seine Villa sah. Da Thomas und Katja Mann die Villa im Jahr 1948 rückerstattet worden ist, ließ der Schriftsteller sie daher 1952 auf Kosten der Stadt abreißen und verkauft das Ruinengrundstück für 20.000 Mark an den Apotheker Otto Roeder.1953 ersetzte ein Bungalow die ehemalige »Poschi« der Manns, in dem das Apothekerehepaar Roeder bis zu seinem Tode lebte. Ende der Neunzigerjahre kaufte Thomas Haffa, Mitbegründer des Pleiteunternehmens EM.TV, das Anwesen.
2001 erwarben die Investmentbanker Andrea und Alexander Dibelius (Goldman-Sachs-Chef) das Grundstück mit dem verwahrlosten Bungalow. Architekt Thomas Dibelius errichtete 2002 bis 2005 (in Absprache mit der Stadt München) nach dem alten Grundriss eine der Mann'schen Villa nachempfundenen Rekonstruktion, die in Fachkreisen umstritten ist. Ende August 2006 brachte der Thomas-Mann-Förderkreis eine Glastafel mit folgendem Text an der Gartenmauer der Villa an:
»Auf eigene Art einem Beispiel folgen, das ist Tradition.« Der Schriftsteller und Nobelpreisträger Thomas Mann (1875-1955) ließ hier 1913 ein Wohnhaus errichten und bewohnte es mit seiner Familie von Januar 1914 bis zum Beginn des Exils im Februar 1933.
Nach einer lebhaften öffentlichen Diskussion, in der dieser Text kritisiert wurde (man machte dem Förderkreis den Vorwurf, die Beschlagnahmung des Hauses 1933 und die gewaltsame Enteignung 1937 »unter den Tisch fallen gelassen zu haben«), verfasste Dirk Heißerer einen neuen, ausführlicheren Text, die Tafel wurde am 22. September 2006 angebracht. Texttafel
Stand April 2015 soll Thomas Manns (sic!), Investor aus Niedersachsen, für sagenumwobene 30 Millionen Euro die rekonstruierte Mann-Villa erworben haben.
Textquellen:
Willibald Karl: Bogenhausen. Vom bäuerlichen Pfarrdorf um noblen Stadtteil, München 1992.
Dirk Heißerer: Gewinn und Verlust. Thomas Mann und die Seinen im Herzogpark, in: Karl, Willibald (Hg.): Der Herzogpark. Wandlungen eines Zaubergartens, München 2000, S. 85ff.
Rudolf Reiser: Alte Häuser - Große Namen, München 1978.
Christoph Schreier (Hg.): Auf eigene Art. Das neue Thomas-Mann-Haus am Münchener Herzogpark, München, Berlin, London, New York 2006.
Abbildungen von oben nach unten:
Gartenseite der Villa 1929, Ansichtskarte © privat
Thomas Mann in der Villa Poschingerstraße 1, 1924. Quelle: ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv / Fotograf: Unbekannt / TMA_0076.
Thomas und Katia Mann vor ihrer Villa Poschingerstraße 1 sitzend, um 1925. Quelle: ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv / Fotograf: Unbekannt / TMA_0080.
Gruppenfoto am 50. Geburtstag von Thomas Mann, 6. Juni 1925. Thomas Mann zweite Reihe, Zweiter von links, sein Bruder Heinrich, erste Reihe ganz rechts außen. Quelle: ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv / Fotograf: Unbekannt / TMA_0097.
Die Geschwister Elisabeth Mann und Michael Mann auf der Treppe vor der Villa Poschinger Straße 1 sitzend, ca. 1928. Quelle: ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv / Fotograf: Unbekannt / TMA_0134.
Familie Mann auf der Veranda an der Poschingerstraße 1, August 1930. Von links: Klaus Mann, Katia Mann, Elisabeth Mann mit einem Hund, Erika Mann, Thomas Mann. Quelle: ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv / Fotograf: Unbekannt / TMA_0174.
Familie Mann im Speisezimmer an der Poschingerstraße 1. Erkennbar sind von links: Thomas Mann, Monika Mann, Katia Mann, Klaus Mann. August 1930. Quelle. ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv / Fotograf: Unbekannt / TMA_0172:
Mann-Bär im Literaturhaus © privat. Den aus St. Petersburg stammenden Bären kann man übrigens heute schön restauriert im Treppenhaus im 3. Stock des Münchner Literaturhauses am Salvatorplatz 1 betrachten. Nach der Emigration der Familie Mann kaufte der Lederwarenhändler Josef Michael Matt den Bären und stellte ihn im Schaufenster seines Geschäfts in der Sendlinger Straße aus. Seine Tochter Maria Matt verlegte das Geschäft in die Kreuzstraße. Bis zu ihrem Tod im Jahr 2000 war der Bär im Schaufenster dort zu sehen. Ihr Erbe gab dem Literaturhaus München den Bären als Dauerleihgabe.
Bungalow-Neubau in der 1970er-Jahren, Scan aus: Reiser, Alte Häuser.
Bungalow-Neubau kurz vor dem Abriss © privat
Villa Thomas-Mann-Allee 10, 2007, hpt © Verein für Stadtteilkultur im Münchner Nordosten e.V.