»Bogenhauser Künstlerkapelle« (1897 bis 1939)

 

Die Künstlerfreunde Heinrich Düll (18671956) und Georg Pezold (1865–1943) hatten nicht nur die Begeisterung für die Bildhauerei gemeinsam, sondern teilten sich auch die Liebe zur Musik. Schon als Studenten der Münchner Kunstakademie sind sie bei zahlreichen Künstlerfesten mit ihren Blockflöten aufgetreten. Als die Familie Düll 1894 in eine repräsentable Villa in der Möhlstraße 31 einzog, sammelten die beiden weitere Musiker um sich und gründeten jetzt um zwei Blockflöten, Bogengitarre, Trumscheit und Pauken erweitert ein Ensemble unter dem Namen »Bogenhauser Künstlerkapelle«. Ihr künstlerischer Leiter war Hofmusiker Heinrich Scherrer (1865–1937), Querflötist an der Münchner königlichen Hofkapelle und begeisterter Lauten- und Gitarrenspieler. Im neu gegründeten Ensemble von Düll und Petzold übernahm er den Bassblockflötenpart, erstellte die Arrangements und leitete die Proben. Sein Interesse für „Alte Musik“ führte dazu, dass bald in den Konzertprogrammen neben den bis dahin hauptsächlich gespielten Volksmusikstücken (so zum Beispiel aus den Sammlungen von Herzog Max in Bayern), Opernarrangements (etwa Mozarts »Cosi van Tutte«, Kallenbachs »Der Schlaftrunk«) und Märschen (zum Beispiel »York’scher Reitermarsch« von Beethoven, Marschsammlungen von Friedrich Wilhelm III.) auch Werke von Arcadelt, Bendusi und Neusidler auftauchten.

 

 

 

 

Im Jahr 1899 wurde der von Düll und Pezold geschaffene Friedensengel in München eingeweiht und das erste »offizielle« Konzert der »Bogenhauser Künstlerkapelle« gegeben. Diesem Kammermusikabend im »Bayerischen Hof« sollten zahlreiche weitere Konzerte folgen sowie mehrere, leider nicht mehr erhaltene Rundfunkaufnahmen. Bei der ersten Aufführung des »Actus Tragicus« (Johann Sebastian Bach) 1925 in München wurden die beiden Blockflöten nicht etwa von Berufsmusikern gespielt, sondern von den "Musiklaien" Heinrich Düll und Georg Pezold – ein Beleg für deren exzellente Spieltechnik. Auch hatte die »Bogenhauser Künstlerkapelle« die Ehre, das London Philharmonic Orchestra 1936 mit einem Konzert in München begrüßen zu dürfen. Die zahlreichen Auftritte in Verbindung mit den Rundfunkaufnahmen und den erwähnten hohen technischen Anforderungen belegen nicht nur die Beliebtheit des Ensembles zur damaligen Zeit, sondern auch wie wichtig ihr  Beitrag zur Wiederbelebung Alter Musik und ihrer Instrumente war. Die Verwendung einer romantischen Bogengitarre und eines barocken Trumscheits statt der sonst üblichen Gitarre und eines Kontrabasses zeigt dies nachdrücklich. Man wollte das »Besondere« und wurde dem Anspruch des »Avantgardistischen« auf diese Weise nicht nur in der Bildnerischen Kunst gerecht.

 

 

 

1939 mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs endet die Geschichte der »Bogenhauser Künstlerkapelle«. Zum einen wohl wegen des vorgerückten Alters der beiden Flötisten Düll und Pezold, die nun beide schon über 70 waren, vielleicht aber auch, weil die Zeit der Neugier und Offenheit in München erst einmal vorbei war. Das „Besondere“ war nun – wie auch in der bildenden Kunst – nicht mehr gefragt. 1944 wurde dann die Düll’sche Villa in Bogenhausen von Bomben getroffen, und so sämtliche Instrumente – außer den bis heute erhaltenen Blockflöten, Querflöten, Flageolets und Oboen –  zerstört. Die originalen Stimmbücher der »Bogenhauser Künstlerkapelle« sind jedoch noch immer im Familienbesitz der Düll’schen Nachkommen. 

 

 

 

 

Das 1991 von Thilo Hirsch gegründete »ensemble arcimboldo« aus Basel hat sich auf dieser Grundlage der Wiederbelebung und Erneuerung der Spielweise und des Musikguts der »Bogenhauser Künstlerkapelle« angenommen und setzt damit heute eine Tradition fort, die schon vergessen schien. Die Schweizer Musiker haben sich zum Ziel gesetzt, dieses einzigartige »Originalrepertoire« in der Originalbesetzung von vier Blockflöten, Bogengitarre, Trumscheit und Pauken zu rekonstruieren. Kopien der Stimmbücher und zahlreicher Fotografien wurden dem "ensemble arcimboldo" von Dr. Martin Kirnbauer, dem Leiter des Musikmuseums Basel und Autor eines Artikels über die »Bogenhauser Künstlerkapelle«, zur Verfügung gestellt. Mit zwei Kompositionsauftrage an die Schweizer KomponistInnen Hans-Jürg Meier (*1964) und Abril Padilla (*1970) hat es »arcimboldo« geschafft, die von Spielfreude und Experimentierlust geprägte Musik der »Bogenhauser Kapelle«  ins 21. Jahrhundert zu tragen. Videomitschnitte des Konzerts vom 2. April 2011 im Naturhistorischen Museum Basel sind auf www.youtube.com veröffentlicht.

 

 

 

 

 

Hörprobe »ensemble arcimboldo«: Erchinger Jagdmarsch

 

 

 

Abbildungen von oben nach unten:

 

Literatur: