Villa Betz

Händelstraße 1

 

1896 lässt sich Gastwirtschaftsbesitzer Lorenz Betz von Baumeister Hans Hartl (Sohn einer Englschalkinger Ziegeleibesitzerdynastie) eine Villa in der Händelstraße 1 errichten (Quelle: Stadtarchiv München). Hier bezieht er mit seiner Frau Anna die erste Etage, die anderen Wohnungen der Villa werden vermietet. Auf diese Weise kann Betz der »Privatier« durch den hier gelegenen Hintereingang des Biergartens bequem seine Gastwirtschaft erreichen. Sieben geräumige Zimmer stehen dem Gastwirtsehepaar zur Verfügung, bestens ausgerüstet mit allem, was die Zeit an Komfort zu bieten hatte. Nur gegen die Elektrizität hatte Betz eine Abneigung er bevorzugte Gas, dessen Licht er für angenehmer und heller hielt. Sein Enkel Josef Selmayr vermutet in seinen Memoiren, dass er aber wahrscheinlich schlicht zu sparsam gewesen sei und er wohl befürchtet hatte, einen zu hohen Stromverbrauch zu erhalten, wenn mit einem Fingerdruck Licht erzeugt werden konnte.  er berichtet weiter:

 

»Nur die ältere Schwester meiner Mutter, Tante Annie wusste, was Kinder wirklich interessierte: der Springbrunnen im Vorgarten der Villa [...], der Gartenzwerg in seinem Eckchen, das Futterhäuslein auf dem Küchenbalkon und die Kuckucksuhr in ihrem Altjungferzimmer. Mit begrenzter Bewunderung betrachtete ich die riesigen Glaslüster, die von den stuckierten Decken baumelten, fand aber die Leuchten mit elektrischem Licht, wie wir sie in Straubing hatten, wesentlich praktischer.«

 

 

1905

 

 

Ein fast lebensgroßes großes Reliefmedaillon an der Hauptfassade, da wo eigentlich das Dach hätte ansetzen sollen, wird bei den Bildhauern Heinrich Düll, Georg Pezold und Max Heilmaier in Auftrag gegeben. Dargestellt sind Frau Germania, ein Adler und ein Löwe. Darunter steht: »Nord und Süd, eins im Gemüt Löwe und Aar, geschieden nimmerdar!« Den Spruch soll der alte Pfarrer von Bogenhausen verfasst haben und ist ein kleiner Beleg sein für die Weltoffenheit der kleinen bayerischen Gemeinde über die von Preußen dominierte deutsche Einheit. Der Hausherr hatte als Landwehrleutnant im 10. Bayerischen Infanterieregiment am Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 teilgenommen und war verwundet und mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet zurückgekehrt. Sein Enkel erinnert sich an die Ausstattung des Speisezimmers in der Villa:

 

»Weiterhin war da ein Speisezimmer mit vier großen aus farbigem Glas gestalteten Fenstern. Von Künstlerhand entworfene Wappen der verschiedenen Familien, Säulen, Spruchbänder und wilder Wein, vielleicht noch manches andere, was zu einem schönen Jugendstilarrangement gehörte, dämpften das Licht und verbreiteten weihevolle Stimmung. Wer sich näher heranwagte, entdeckte hübsch verteilt im Rankengewirr etwa ein Dutzend französischer Ortsnamen, Zeugnisse der Schlachten und Gefechte, an denen der Landwehleutnant Betz im krieg 70/71 teilgenommen hatte; und wo er eine Auszeichnung erhalten, hing diese im Maßstab 1:1 gleich daneben. Eine dritte Merkwürdigkeit ist zu notieren, nämlich das Schreibzimmer dieses Großvaters. Ein Schreibtisch, ein Bücherschrank, ein Sofa mit kleinem Tisch konnten nicht beeindrucken. Aber was da so an den Wänden hing: Schlachtenbilder, Franzosenkäppis, ein Kürass, eine Fahne, Säbel, Gewehre mit aufgepflanztem Bajonett und, fast verdeckt von alledem, auf dem Panzerschrank stehend das Gipsmodell des am Münchner Isarhochufer stehenden Friedensengels aus der Hand der Bogenhauser Bildhauer Düll und Petzold.«

 

 

  

 

 

 

 

Auf dem Grundstück der Villa stand auch eine kleine »slumartige« Herberge, die von Lorenz und Anna Betz vermietet wurde. Hier wohnte während des Ersten Weltkriegs eine Arbeiterfamilie mit zwei halbwüchsigen Kindern sowie eine ältere Dame im Dachzimmer. Der Mietzinns in Höhe von Pfennigbeträgen wurde trotz der Erbärmlichkeit der Zustände dieses »Verlieses« regelmäßig eingetrieben, wie Enkel Josef Selmayr zu berichten weiß.

 

 

Wohnzimmer

 

 

Schlafzimmer

 

 

Herrenzimmer

 

Die Villa Betz wird während des Zweiten Weltkriegs ein Opfer der Bomben der Alliierten, heute steht hier ein schlichter vierstöckiger Neubau, in dem die Münchner Schriftstellerin Annette Kolb in einer kleinen Wohnung zusammen mit ihrer Haushälterin Marie José Gräfin Dürckheim ihre letzten Lebensjahre von 1961 bis 1967 verbringt. Eine Gedenktafel am Haus erinnert daran.

 

 

1926

 

 

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Literatur:

 

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