Haus Nassauer

Holbeinstraße 10

 

Das Wohnhaus wurde 1899 für Direktor Gustav Nassauer nach einem Entwurf des Architekten Paul Vincent Paravicini (geboren 1872 in Frankfurt am Main, dort an der Frankfurter Kunstgewerbeschule tätig, gest. 1926) errichtet. Ein Souterrain und drei Stockwerke umfassend wurde es an der Ostseite von einem vierstöckigen Turm flankiert, westlich waren offensichtlich bereits zu diesem Zeitpunkt weitere direkt anschließende Anbauten geplant (westlich Holbeinstraße 12, errichtet 1911, östlich Holbeinstraße 8, errichtet 1907), denn die Seiten blieb fensterlos. Zwei Etagen erhielten Loggien beziehungsweise einen vorspringenden Erker mit Balkonbekrönung. Die dritte Etage umfasste ein nahezu über die gesamte Breite der unteren beiden Stockwerke gelagertes, großes Atelierfenster, das sich durch das Kranzgesims gebrochen in der Dachschräge fortsetzte. Geschickt wurde auf diese Weise die vierte Etage als hoher optimal Licht durchfluteter Atelierraum genutzt. Gekrönt wurde das Ganze von einer eingezäunten Dachaltane mit mächtigen Eckpfeilern. Auch die Einfriedung des vorderen, kleinen Gartenbereichs war für die damalige Zeit unüblich und bestand aus zum Dachaufbau korrespondierenden relativ mächtig wirkenden Betonpfeilern und -balken, zwischen die Eisenstäbe gesetzt wurden, sowie einem asymmetrischen Eingangsbogen, der auf den im Erkerturm liegende Eingangsbereich mit Glasvorbau zuführte.

 

Paravicinis revolutionäres architektonisches Werk war das erste Wohnhaus in der Holbeinstraße und eines der frühen Beispiele in München, die nicht im damals in Mode gewesenen historisierenden Stil, sondern betont eigenwillig asymmetrisch konzipiert wurden. Es war ein früher Vorreiter der schnörkellosen Architektur der 1920er-Jahre mit der Blütezeit des Bauhauses. Zur Entstehungszeit stand das Haus auf abgeziegeltem Lehmboden auf freiem Feld, der Garten an der Rückseite lag deshalb tiefer.

 

 

1919

 

 

Im Laufe der Jahre kam es zu weitreichenden Veränderungen des Hauses: Wegfall des Glasanbaus am Eingang, Vereinfachung von Fenstern und Türen, Einbau von Hofgaragen an der Rückseite des Gebäudes und Beseitigung der Dachaltane, die durch ein Satteldach ersetzt wurde. Eine Fotografie aus dem Jahr 1948 zeigt, dass im dritten und vierten Stock an Stelle des ehemaligen Ateliers außerdem vier symmetrische Fenstereinbauten eingesetzt wurden, wodurch sich die Fassade entscheidend veränderte. Diese Maßnahmen passten das Gebäude besser an die Erfordernisse eines Mietshauses an, nahmen aber keine Rücksicht auf das ursprüngliche architektonische Konzept. Das denkmalgeschützte Haus erhielt im Jahr 2002 ein weitere Veränderung: Der Dachbereich wurde mit zwei vorspringenden Dachgauben ausgebaut.

 

Das Haus Nassauer wurde bald in mehreren Wohneinheiten vermietet. Erinnert sei an dieser Stelle an Rosa Peretz, geb. Freudenthal (1870-1940), die in den Adressbüchern der Stadt seit dem 20. September 1932  in der Holbeinstraße 10 verzeichnet war. Die verwitwete Zahnarztgattin wurde am 7. Februar 1940 aufgrund der nationalsozialistischen Diskriminierungen und Verfolgungen jüdischer Mitbürger in den Suizid getrieben.

 

1950 bis 1953 wurde laut Stadtarchiv Johann Schneider hier eine Wirtschaftskonzession für eine Bierwirtschaft erteilt. Des Weiteren vermerkt das Archiv im Lokal »Holbeinstuben« 1953 Wandbilder von Franz Berin Hauber. Das bis 2003 hier existierende beliebte Abendlokal »Holbeinstuben« (später französisches Spezialitätenrestaurant »Saint Laurent«) im Kellergewölbe des Hauses (mit Außensitzbereich im vorderen Garten an der Holbeinstraße) gibt es heute nicht mehr.

 

 

2003

 

 

2011

 

 

 

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Literatur:

 

Abbildungen: