Maria Schwaiger

 

 

Nach dem Tod Josephs im Jahr 1870 führt seine 20 Jahre jüngere Witwe, Maria Schwaiger, die Seilerei erfolgreich weiter, die Firmenbezeichnung „Jos. Schwaiger's Wwe Tauwerk München“ wird ins Handelsregister eingetragen. Zehn Jahre später wird die Produktion erweitert und neben dem Stammhaus in der Innenstadt eine  Seilfabrik in Haidhausen am Kuglerberg (heutige Einsteinstraße, gegenüber dem Friedhof) errichtet, in der jetzt allerdings Maschinen die Seile schlagen. Die Produkte samt Zubehör werden am neu erworbenen Verkaufsstandort am Viktualienmarkt verkauft.

 

 

 

 

1888, nach dem Tod seiner Mutter, übernimmt ihr Sohn Karl die Fabrik und spinnt die Erfolgsgeschichte der Seilerei weiter. Schon ein Jahr später verleiht ihm Prinzregent Luitpold den Titel eines "Königlich Bayerischen Hoflieferanten" und seit dem 4. März 1898 darf er sich aufgrund seiner Verdienste "Königlich Bayerischer Hof-Seilermeister" nennen. Das Unternehmen floriert in der sogenannten Gründerzeit, wie eine Bestellung der Direktion der Münchner Artillerie-Werkstätten belegen mag: Drei Jahre vor der Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand und dem Beginn des Ersten Weltkriegs erhält "Schwaiger's Witwe" den Auftrag zur Herstellung von Drahtseilen für Geschütze. Weitsichtig erwirbt Karl Schwaiger bereits 1915, weit draußen vor der Stadt, in der Gemeinde Daglfing, ein 3 Hektar großes Grundstück, direkt neben der neu errichteten Bahnstrecke. Es ist von seiner Geometrie her eindeutig auf Seilproduktion ausgelegt, da es bereits einen langen schmalen Streifen besitzt, auf dem später die Seilerbahn errichtet werden sollte. Dieser Grundstücksstreifen durchtrennte die heutige Memeler Straße, damals ein Weg durchs Denninger Feld, der den Dorfkern von Daglfing mit der Englschalkinger Straße verband. Karl Schwaiger schafft es jedoch nicht mehr, das Grundstück zu bebauen, er stirbt 1924.

 

 

Karl Schwaiger

 

 

 

Sein Sohn Dipl.-Ing. Johann Baptist Schwaiger übernimmt noch im selben Jahr das Unternehmen. In seine Zeit der Firmenführung fällt der Zweite Weltkrieg und der Bombenangriff der Alliierten, der 1944 die Fabrik in Haidhausen und das Stammhaus in der Ledererstraße völlig zerstört.

 

 

Johann Baptist Schwaiger

 

 

 

 

 

Gemälde aus den 1930er-Jahre 

 

 

Noch in den Kriegsjahren, ab 1943, baut Johann Baptist Schwaiger auf dem Grundstück an der Daglfinger Straße 67 die kriegszerstörte Seilerei neu auf. Die nach Osten offene, 400 Meter lange "Reeperbahn" ist das erste Gebäude der neuen Fabrik. Hier können jetzt Hanfseile bis zu 220 Meter Länge und 100mm im Querschnitt "ausgetrieben" werden. Es folgen die Produktionshalle für Drahtseilherstellung und die Drahtlagerhalle und weitere Gebäude, ehe 1962 die große Produktionshalle errichtet wird, die man von der Daglfinger Straße als erstes sieht. Heute stehen auf dem Gelände 21 Häuser, Hallen und Lagerräume.

 

 

 

Schwaiger-Belegschaft in den Sechzigerjahren

 

 

 

 

 

 

 

 

Schwaigers Draht- und Stahlseile finden nicht nur in München (unter anderem im Olympiastadion oder in allen MAN-Lastwagen), sondern weltweit Verwendung im Flugzeugbau, in der Landwirtschaft, im Aufzugbau, im Bergbau, bei Bergbahnen, in der Schifffahrt und im Brückenbau. Anfang der Siebzigerjahre kommen Antennen- und Maschinenbau in die Produktpalette. Überall in Europa werden Berg- und Seilbahnen mit Drahtseilen aus dem Daglfinger Tauwerk von "Jos. Schwaiger's Witwe" betrieben. 

 

 

 

 

Als Johann Baptist Schwaiger 1981 stirbt, verfügt die Seilerei über das enorme Know-How von 112 Mitarbeitern, für die sein Neffe Dipl.-Ing. Regierungsbaumeister Wolfgang Schwaiger-Herrschmann zunächst die persönliche Haftung übernimmt, 1986 wird der ehemalige Seilerlehrling Rupert Hutterer (jetzt Diplom-Betriebswirt) Geschäftsführer von "Schwaiger's Witwe". Es folgen wirtschaftlich harte Zeiten. Der Betrieb ist nicht mehr wettbewerbsfähig, stark ist die ausländische Konkurrenz auf dem bayerischen Markt. Innerhalb von zehn Jahren dünnt "Schwaiger's Witwe" sein Sortiment aus, vermindert die Anzahl der Belegschaft und automatisiert den Betrieb. Nach diesen Rationalisierungsmaßnahmen erfolgt 1994 der Eintritt in die heutige Unternehmensgruppe Carl Stahl GmbH. Die Wurzeln des bis heute in Familienbesitz befindlichen Konzerns liegen in einer 1880 gegründeten kleinen Seilerei mit Produkten für die Landwirtschaft. Heute werden 1450 Mitarbeiter an 60 Standorten weltweit beschäftigt. 

 

 

 

 

 

In der ältesten Seilerei der Stadt München werden kaum mehr Seile aus Hanf und Pferdehaar geschlagen. Faserseile nehmen nur einen minimalen Prozentanteil im Jahresumsatz von 11,5 Millionen Euro ein. 80 Beschäftigte haben sich seit 2001 auf den Bereich Lastaufnahmemittelbau, sowie seit 2003 auf Prüf- und Servicetechnik, und Architekturseiltechnik (seit 2005) spezialisiert. 

 

 

Seilerbahn 2002

 

 

Stolz kann die Firma auf ihr Unternehmertum sein, das sich in schweren Zeiten behauptet hat und sich trotzdem nicht nur um wirtschaftlichen Zuwachs und Rendite sorgt, sondern auch um Umwelt und Ausbildung. Zwei Auszeichnungen belegen dieses Engagement: 1996 wird "Schwaiger's Witwe" der  „reddot-Design-Awards“ für die Fassadenbegrünungslösung „Green Cable“ durch das Design Zentrum Nordrhein-Westfalen verliehen (mehr Bilder dazu hier) und 1999 der „Erasmus-Grasser-Preis“ für herausragende Ausbildungstätigkeit durch die Landeshauptstadt München. 2011 folgt die Auszeichnung mit dem Bayerischen Qualitätspreis 2011 in der Kategorie Handwerk für herausragende Leistungen im Qualitätsmanagement, verliehen durch das Bayerische Staatsministerium.

 

   

Firma Carl Stahl GmbH München 2006,

nach umfangreichen Sanierungsmaßnahmen am Werksgelände

 

 

 

 

Unter dem Giebel war das alte Logo von "Schwaiger's Witwe" mit der

zupackenden Faust am Seil angebracht

 

 

Der Eingangsbereich an der Daglfinger Straße

 

 

 

Webseite Carl Stahl GmbH München

<< zurück zum Textanfang

 

 

 

 

Textquellen: 

Abbildungen:

Mit Ausnahme der folgenden Bilder wurden alle historischen Aufnahmen inklusive der beiden Luftaufnahmen dankenswerterweise zur Verfügung gestellt von der Firma Carl Stahl GmbH München, Daglfinger Straße: