Das „versunkene Dorf an der S-Bahn-Linie"

 

Es ist der Historiker Jordanes, der im Jahr 551 n. Chr. erstmals von den Bajuwaren berichtet. Über ihre Herkunft und ihre Stammesbildung wird noch immer gerätselt. Der vom Frankenkönig Chlodwig eingesetzte Garibald I. (nach 500 - ca. 593) aus dem Geschlecht der Agilolfinger war der erste namentlich bekannte baierische Herzog. Die einzige Stadtgründung der Bajuwaren ist Freising, das 739 erstmals erwähnt wird.

 

Bajuwaren siedelten auch am Rande des fruchtbaren Lößlehmrückens im Münchner Nordosten. Belege dafür fand die Archäologie an der Stegmühlstraße in Johanneskirchen, mit der Entdeckung einer altbajuwarischen Siedlung von bemerkenswerten Ausmaßen, inklusive ausgedehnter Weideflächen. Eine Besonderheit bildeten mehrere kleine Friedhöfe, in denen man Gräber aus der Zeit um 690 fand, in denen Männer und Frauen bestattet waren, die wegen der Grabbeigaben als Adelige einzustufen sind.

 

 

Von zwei Höfen des Bajuwarendorfes kann man eine exakte Beschreibung abgeben und auch Rückschlüsse auf das Leben aus der Agilolfingerzeit (6. - 8. Jahrhundert) ziehen. Außer in Johanneskirchen wurden erst wenige Agilolfingersiedlungen entdeckt, zum Beispiel in Kelheim, Barbing, Kirchheim und Aschheim. Sonst hat man nur Gräber aus dieser frühen bayerischen Periode entdeckt, da die Höfe im Laufe der Jahrhunderte immer wieder überbaut wurden. 

 

Auch im Bajuwarendorf in Johanneskirchen fand man mehrere kleine Friedhöfe, die den jeweiligen (Guts-) Höfen zugeordnet sind. Viele Kindergräber sind auffällig - 

Ausgrabungsfeld an der Stegmühlstraße

 

die Hälfte der Toten sind nicht über das Kindesalter hinausgekommen. Die meisten Gräber, in denen die Toten nach Osten, zur aufgehenden Sonne hin, bestattet wurden, waren einfache Bauerngräber ohne Grabbeigaben, aber auch die Ruhestätte eines Dorfchefs, den man mit Schwert und Sporen beisetzte, wurde gefunden:

 

"Die Hofbesitzer zeigen durch Schwert und Sporn ihren Rang als Berittene an, die Frauen besitzen Halsketten aus bunten Perlen, bronzene Schleifenohrringe oder auch nur Messerchen. Herausragend ist der Schmuck einer Frau, deren Grab neben demjenigen eines Axtträgers lag. Sie besaß eine bronzene Scheibenfibel mit einer Auflage aus feuervergoldetem Silberblech, in das vier ineinander verschlungene bandförmige Tiere gepresst sind. Die Brosche ist zeitlich an das Ende des 7. nachchristlichen Jahrhunderts zu setzen. Diese Datierung wird durch das Ergebnis der Untersuchung einer Brunnenverschalung aus Eichenholz bestätigt. Die Bretter wurden demnach etwa um 690 n.Chr. verarbeitet, ein wichtiges Datum, das über Anfang und Ende der Siedlung aber nichts aussagt."

 

 

 

 

Die in Johanneskirchen ausgegrabene Siedlung zeigt die üblichen Typen des frühmittelalterlichen Hausbaus: Wohnhaus, Scheune und Grubenhaus. Die Grubenhäuser waren überdeckte Erdkeller, etwa 80 cm tief in den Boden eingegraben. Sie dienten als Vorratslager oder auch als Arbeitskeller, wo gewebt oder Eisen hergestellt wurde. Eines der Wohngebäude wich vom üblichen Typus  ab, da zwei Trakte übereck gestellt waren. Sie könnten als Meier- oder Adelshöfe gedeutet werden.

 

Mit Sicherheit fängt die Geschichte des namenlosen Dorfes in Johanneskirchen schon viel früher als im 7. Jahrhundert an. Der Lehmboden bot günstige Voraussetzungen für die ersten Bauern und Viehzüchter der Jungsteinzeit, die in Süddeutschland vor 8000 Jahren feststellbar sind. Bei Unterföhring fand man Scherben und Keramik aus der 1. Hälfte des 4. Jahrtausends v. Chr., die zu den ältesten Nachweisen menschlichen Wirkens im Raum München zählen. Bei der Ausgrabung des Bajuwarendorfes an der Stegmühlstraße fand man 1983 auch Steinbeile und Feuersteinklingen, Bestattungsbeigaben für Tote, die vor rund 4000 Jahren hier beigesetzt worden waren. Zahlreiche weitere Zeugnisse von Siedlungstätigkeit in der Gegend (zum Beispiel von Kelten an der Savitsstraße) wurden bisher gefunden, trotzdem der bis in die 1960er Jahre hier betriebene Lehmabbau sicherlich zahlreiche archäologische Spuren zerstört hat. Im Wertstoffhof Johanneskirchen wurde eine Tafel angebracht, die auf die Funde unter dem Betriebsgelände hinweist.

 

In Kirchheim kann man übrigens ein typisches Bajuwarendorf besichtigen. Münchner Archäologen haben das Projekt "Bajuwarenhof Kirchheim" ins Leben gerufen. Ziel ist es, das Leben der Menschen des 6. und 7. Jahrhunderts praxisorientiert und wissenschaftlich fundiert erfahrbar zu machen. Als Raum dafür dient ein bajuwarischer Hofverbund, von dem ein Haus und ein Nebengebäude (“Grubenhaus”) bereits fertig gestellt sind. Ein weiteres Haus befindet sich gerade im Bau. Mehr dazu unter www.bajuwarenhof.de

 

 

 

 

 

>> mehr dazu im NordOstKultur-Thema: "Das Schwert im Keltengrab"

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Textquelle: Karin Bernst, "Spaziergang durch den Münchner Nordosten", Kalender 2002.

Abbildung Vorderseite: Rekonstruktionsskizze eines bajuwarischen Hofes wie er an der Stegmühlstraße ausgesehen haben kann

Abbildungen von oben nach unten: