Über das Vorhandensein einer Gaststätte im Dorf Johanneskirchen erfährt man durch einen Briefwechsel des »Fürstlichen Pfleg- und Landgerichts Wolfratshausen« mit dem damaligen Hofmarkbesitzer von Johanneskirchen, Baron Mayer. Am 27. Oktober 1786 schrieb der Vertreter des Pfleg- und Landgerichts Wolfratshausen Folgendes:

 

»Es ist disorts die Anzeige geschehen, dass der jenseitige Söldner und Schuhmacher bei seiner vorhabenden Verehelichung die Hochzeit bei dem Wirt zu Oberföhring der Hochfürstlichen Freisingschen Grafschaft Ismaning welche als ausländisch betrachtet wird, zu halten gedenkt. Wider dieses unerlaubte Verfahren muß man hiesigen Gerichtseits umso mehr Einwendungen machen, als schon lange unter schwerer Geldstraf verboten ist, das kein inländischer Untertan im Freisinglichen eine Hochzeit halten darf; wohl aber ist jeden erlaubt, solche bei einem inländischen berechtigten Tafernwirt, wo ihm gefällig, zu halten.«

 

Die Bewohner von Johanneskirchen mussten also mindestens bis nach Bogenhausen gehen, um in der dortigen Wirtschaft feiern zu können. Man erfährt zudem nebenbei, dass der Viehhirte Unterberger von Johanneskirchen, der das Gemeindehaus bewohnte, schon seit über 25 Jahren braunes Bier zum Nachteil der umliegenden berechtigten Wirte ausschenkte. Bis zur Klärung, ob dieser das überhaupt durfte, wurde dem Hirten jegliches Bierausschenken bis auf Weiteres verboten. Irgendwann erhielt der Hirte wohl die nötige Konzession, da die Bierwirtschaft später im Gewerbekataster auf das Gemeindehaus eingetragen war und somit als Eigentum der Ortsgemeinde betrachtet wurde. Diese Bierschenke verblieb bis zum Jahre 1864 im Besitz der Familie Unterberger. Zuletzt war sie schon seit über 39 Jahren von der Witwe Theres Unterberger gepachtet, obwohl sie nie um eine Bewilligung ersucht hatte. Nach ihrem Tod wurde diese »WIrtschaftgerechtsame« (heute so etwas wie eine Konzession) durch die Ortsgemeinde versteigert. Den Hüterssohn Joseph Unterberger wollte man die Wirtschaft auf alle Fälle nicht weiterführen lassen, allein schon wegen der heruntergekommenen Gebäude und der zweideutigen Gäste, die sich dort aufhielten. 

 

Es gab mehrere Interessenten im Dorf, die diese Gerechtsame gerne haben wollten. Bei der Versteigerung am 29. August 1864 setzte man ein Anfangsgebot von 500 Gulden an. Die Bauerneheleute Georg und Magdalena Schmid waren die Meistbietenden und erhielten die Gerechtsame für 2210 Gulden. Diese übertrugen sie auf ihr Haus, den Eckarthof. Magdalena Schmid beantragte danach eine Tafernwirtschaftskonzession, um auch warme Speisen verkaufen zu dürfen. Doch die Gemeindeverwaltung war ihr nicht gut gesinnt und so versuchte es ihr Mann Georg. Nach jahrelangen Streitigkeiten mit den anderen Bewohnern von Johanneskirchen und der Gemeindeverwaltung gab Magdalena Schmid auf und verkaufte die Wirtschaft im Jahre 1871 an Maria Wagner, Braumeistersgattin aus München, für 17.200 Gulden. Die Familie Wagner hatte unter dem Namen »Alte Wirtschaft«, später dann »Alter Wirt«, die Gastwirtschaft angemeldet. 1880 kam es zur Zwangsversteigerung bei der für das Meistgebot von 2100 Mark die Schwägerin Maria Wagner, Bierbrauers-, nun Privatierswitwe, den Zuschlag bekam. Seit dem Jahr 1885 gehörte auch eine Kegelbahn zur Wirtschaft. 1891 bat der Sohn Michael Wagner um Erlaubnis »zur Errichtung einer Marketenderei im Daglfinger Moose während der Entwässerungsarbeiten dortselbst«. Dies wurde abgelehnt, da bereits eine solche Einrichtung bestand.

 

 

um 1905

 

 

1892 übernimmt die Gastwirtstochter Maria Wagner das Anwesen. Von ihr  erhält im Jahre 1895 der Bruder Michael Wagner für 29.571 Mark den Gesamtbesitz mit der Wirtschaftsgerechtsame. Damals wurde auf das Wohnhaus und die Stallung noch ein Stockwerk aufgebaut. 1899 heiratet Michael Wagner Walburga Empfenzeder aus Johanneskirchen. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts führte zwischendurch immer mal wieder ein Pächter die Gastwirtschaft. 1928 erbte der Witwer Michael Wagner den Besitz zum Alleineigentum. 

 

1930 errichtete die »Zimmerstutzengesellschaft Johanneskirchen«, vertreten durch Heinrich Ullmann, im Nebenzimmer ihres Vereinslokals »Zum alten Wirt« einen Schießstand. In den Wintermonaten, jeweils an den Samstagen, wurde auf eine Scheibe – und zwar aus dem Gastzimmer, da das Nebenzimmer zu kurz war – geschossen. Um die übrigen Gäste zu schützen, wurde im Gastzimmer eine Bretterwand aufgestellt. Im Jahre 1931 erfolgte die Übergabe am die Tochter Walburga Gruber und ihren Ehemann Johann Gruber im Werte von 32.000 Reichsmark. Bis MItte der 1950-er Jahre betrieb die Familie die Gaststätte selber, danach ein Pächter. Nachdem der »Alte Wirt« als Treffpunkt der Johanneskirchner Bewohner »ausgedient« hatte, wurde er in das »In«-Lokal »Dicke Sophie« umgewandelt.

 

 

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Text:

Karin Bernst: »Ein Spaziergang durch den Münchner Münchner Nordosten«, Kalender 2013.

Abbildungen:

oben: Die noch ungepflasterte Johanneskirchner Straße um 1900, links hinten das Gasthaus »Wagner«, rechts davon die alte Schustersölde © privat

unten: Ansichtskarte, um 1905. Links oben: Johanneskirchner Straße mit Villa Baur (rechts, Johanneskirchner Straße 147) und Gastwirtschaft »Wagner«, ehemals »Beim Eckart«, heute »Dicke Sophie« (links), vgl. Fotografie oben.