Ismaninger Straße 76

 

Im Jahr 1904 zog Georgine Käte Gutmann (geb. 9. Oktober 1883 in Neumarkt/Oberpfalz), geborene Feuchtwanger, zusammen mit ihrem Mann, Max Gutmann (geb. 2. Oktober 1865 in Hainsfarth, gest. 29. September 1928 in München), nach München. Sie hatten vier Kinder: Ilse (geb. 1905), Heinrich Simon (1907), Loni Babette (1911) und Hans Heinrich (1919). Alle wurden in München geboren.

 

 

Werbeanzeige der Firma Heinrich Gutmann in der Kürschnerzeitung Nr. 25 vom 5. Dezember 1915.

 

 

1934 zog die Familie von der Schwanthalerstraße 99 in das Haus in der Ismaninger Straße 76/1 ein, das in ihrem Besitz war. Dort ließ Witwe Georgine Käte Gutmann in den folgenden Jahren jüdische Menschen wohnen, die aus ihren Wohnungen gekündigt worden waren und insbesondere nach der sogenannten Kristallnacht (9./10. November 1938) Schutz vor Verfolgung suchten. So zum Beispiel Henriette und Samson Sonn, die am 10. November 1938 von Ingolstadt nach München in die Ismaninger Straße 76 zogen, 1942 in das Barackenlager an der Knorrstraße 148 mussten und über Theresienstadt nach Treblinka deportiert und dort ermordet wurden.

 

Auch der Schwager von Georgine Käte Gutmann, Dr. med. Simon Gutmann, wohnte ab dem 3. Juli 1939 in der Ismaninger Straße 76. Er hatte sich nach seiner Promotion 1920 als praktischer Arzt in München in der Franz-Joseph-Straße 36 niedergelassen und war 1923 vom Vorwurf der »fahrlässigen Tötung, den der »Völkische Beobachter« in einem Hetzartikel erhoben hatte, freigesprochen worden. Nachdem ihm seine Zulassung als Arzt am 31. Oktober 1938 genommen wurde, arbeitet er noch 1940 als »jüdischer Krankenbehandler« im Israelitischen Krankenhaus. 1931 hatte er Theresia Miehle geheiratet, mit der er zwei Söhne (geb. 1932 und 1934) hatte. Die Ehe mit der nichtjüdischen Ehefrau wurde am 22. Dezember 1938 mit der Absicht geschieden, die Familie von Verfolgungen zu schützen. Nach dem Attentat von Georg Elser im Bürgerbräukeller wurde Dr. Simon Gutmann verhaftet und befand sich vom 10. November 1939 bis 19. Januar 1940 in »Schutzhaft«. Er bemühte sich 1940 und 1941 vergeblich um eine Emigrationsmöglichkeit in die USA. am 20. November 1941 wurde er nach Kaunas deportiert, wo er am 25. November 1941 ermordet wurde.

 

 

 

Georgine Käte Gutmann und ihr Schwager Dr. med. Simon Gutmann

 

 

Nach dem Tod ihres Mannes Max im Jahr 1929 führte Georgine Gutmann die 1896 gegründete Firma Heinrich Gutmann, Hutfournituren und Schmuckfedernfabrik in München, Bayerstraße 5, zusammen mit dem Teilhaber Emil Koch fort. Die Firma beschäftigte eine größere Anzahl von Angestellten und Arbeitern. Ihr Zweitältester, Sohn Heinrich Simon (seit 1935 verheiratet mit Elisabeth Samson), war als Kaufmann am elterlichen Geschäft beteiligt und begang am 25. Mai 1936 Suizid. Danach beantragte seine Mutter am 10. Juni 1936 eine Ausreise nach London, um mit ihrem Bruder, Benno Feuchtwanger (geb. 1893 in Neumarkt/Oberpfalz, gest. 1976 in London), der am Regent Square 32 eine Firma der gleichen Branche betrieb, die Zukunft der Federnfabrik in München zu besprechen.

 

 

 

 

Eine Reiseerlaubnis der Behören, das heißt eine Ausdehnung der Gültigkeit ihres Passes auf Großbritannien, erhielt Georgine Käte Gutmann von der Passabteilung der Polizeidirektion München nur, nachdem die Industrie- und Handelskammer zu München ihr am 13. Juni 1936 bescheinigte, dass die geplante Reise nach London im deutschen wirtschaftlichen Interesse liege, »als es sich um Besprechungen über die Aufrechterhaltung eines inländischen Betriebes« handele.

 

 

Hans Heinrich Gutmann

 

 

Am 4. April 1942 wurde Georgine Käte Gutmann zusammen mit ihrem Sohn Hans Heinrich nach Piaski deportiert. Dieser hatte vor 1938 eine Schule in Herne Bay in England besucht, musste aber nach Deutschland zurückkehren, weil sein Pass vom deutschen Konsulat nicht verlängert wurde. Er begann eine Ausbildung zum Schlosser in der Werkstatt der jüdischen Gemeinde in München. Als die Firma der Mutter zwangsweise verkauft werden musste und die wirtschaftliche Lage immer schlechter für die Familie wurde, zog er mit nach Bogenhausen in die Ismaninger Straße 76/1. Nach der »Kristallnacht« war Hans Heinrich Gutmann als 19-Jähriger im Konzentrationslager Dachau inhaftiert. Vergeblich bemühte er sich um eine Emigrationsmöglichkeit in die USA. Todesort und Todesart von Mutter und Sohn nach der Deportation nach Piaski sind unbekannt.

 

Tochter Ilse Gutmann emigrierte im Juli 1937 in die USA und Tochter Loni Babette blieb 1936 bei der Rückreise von einem Tennisturnier, die sie über London führte, in England.

 

 

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Textquelle:

Wolfram P. Kastner: »Auf einmal da waren sie weg ...« Stamsried 2004, S. S. 83-90.

 

Abbildungen:

oben: Haus Nr. 76

Familienporträts aus: s.o., S. 83-90