Mit dem Kauf eines Hauses waren die Siedler verpflichtet, sich noch an weitere Bedingungen zu halten. Zum Beispiel:

Die Siedlung wurde in vier Baugruppen unterteilt, die Baugruppen I und II mit 120 Häusern sollten bis Mitte Mai / Juni 1933 fertig gestellt werden, die Baugruppen III und IV bis August / November 1933. Der notarielle Grundstückskauf für die erste Siedlung, Baugruppen I und II, erfolgte im September 1933. Es wurden 16,784 Hektar von Anton und Maria Baur aus Johanneskirchen für 23.500 RM gekauft, die Parzellen wurden um 330 RM an die Siedler weitergegeben.

 

 

1. Mai 1933

 

 

Für den Freiwilligen Arbeitsdienst, der beim Bau eingesetzt wurde, errichtete man im Dorf Unterkünfte. Als Lohn erhielten die Arbeiter vom Freiwilligen Arbeitsdienst, um die 140 Mann, am Tag 30 Pfennig auf die Hand sowie freie Unterkunft und Verpflegung. Ab Oktober 1933 wurden junge Leute vom Arbeitsdienst-Pflichtjahr eingesetzt.

 

 

Schwierigkeiten beim Bau der Häuser

Wegen des hohen Grundwasserstandes wollte die Stadt München den Bau der Siedlung zuerst nicht genehmigen. Dank des Einsatzes von Dr. Dr. Zahnbrecher wurde im Dezember 1932 die Baugenehmigung erteilt. Im Juni 1933 gab die Genossenschaftsleitung bekannt, dass der Grund für die zweite Siedlung zur Verfügung stehen würde, doch diese Siedlung wurde nicht mehr gebaut. Schon jetzt stellte sich heraus, dass der Kaufpreis viel zu niedrig angesetzt worden war. Die Hebefeier der Gastwirtschaft fand am 24. Juni 1933 statt, bis Ende des Jahres sollten alle Häuser unter Dach gebracht werden. Nach Fertigstellung der Innenarbeiten wurde als Einzugstermin März 1934 angegeben, der Hauspreis hatte sich inzwischen auf 4200 RM erhöht.

 

Im November 1933 gab Dr. Dr. Zahnbrecher an die Siedler ein Rundschreiben heraus, in dem er zu Gerüchten und Beschuldigungen seitens der Siedler Stellung nahm. Es wurde behauptet, dass die Bücher beschlagnahmt wurden, er 30.000 RM unterschlagen hätte und vor 14 Tagen verhaftet wurde. Die Beamten des städtischen Revisionsamtes nahmen zwar die Bücher zur Prüfung ins Rathaus mit, doch er hat sich nichts zu Schulden kommen lassen. Bei 16stündiger Arbeitszeit würde er nur ein Gehalt von 180 RM im Monat erhalten.

Für den 10. Dezember 1933 berief er eine Versammlung der Siedler ein. Zu dieser Versammlung kam es nicht mehr, Dr. Dr. Zahnbrecher wurde inhaftiert und nach Stadelheim gebracht; im August 1934 ließ man ihn wieder frei.

 

Nach der Inhaftierung von Dr. Dr. Zahnbrecher wurde vom Staatskommissar für Siedlungswesen ein neuer Vorstand und Aufsichtsrat ernannt. Eine außerordentliche Generalversammlung fand am 28. Januar 1934 im Hackerbräuhaus in der Sendlinger Straße statt. Ausschnitt aus dem Bericht eines damaligen Zeitzeugen:

 

[…] die Generalversammlung hat von 10 Uhr bis ½5 Uhr gedauert. Eigentliche Beschlüsse, Neubesetzung des Vorstandes und Aufsichtsrats wurden vertagt. Die Versammlung war im großen und ganzen ein sensationeller Rechenschaftsbericht. Fast alle Siedler waren anwesend oder durch andere vertreten. Über den äußeren Eindruck der Versammlung ist zu sagen, daß er einer nationalsozialistischen Kundgebung sehr ähnlich sah, ich hatte wieder Gelegenheit die Versammlungstechnik und die überlegene Menschenführung der Nationalsozialisten zu bewundern. Die Diskussion wurde in geschickter Weise immer wieder hinausgezögert, sodaß am Schluss nur wenig Zeit blieb. Es meldeten sich auch nur Parteimitglieder und zwar solche frühesten Datums.

 

Menschlich am sympathischsten und sachlich am klarsten hat Architekt Vollmann gesprochen. Glänzend waren die Ausführungen des Staatskommissars, der wie ein hervorragender Advokat, auf der einen Seite die Schamlosigkeit des Dr. Zahnbrecher geißelte, auf der anderen Seite vollstes Verständnis für die Siedler an den Tag legte und sie beglückwünschte, daß sie kraft des energischen Eingreifens von nationalsozialistischen Organen noch mit einem blauen Auge davongekommen seien.

Dr. Zahnbrecher hat auf Rechnung der Genossenschaft für sich und seine Kinder ein Bauerngut, ein Milchgeschäft, ein Haus usw. gekauft, hat bei Verträgen mit Lieferanten sich 10 % Provision ausbedungen usw. usw. Es mutet alles wie ein schlechter Kriminalroman an. Wenigstens hat er seine Machenschaften nur teilweise zu Ende führen können, sodaß der Fehlbetrag »bloß« 40.000 M ausmacht.

 

Mein Gesamteindruck ist folgender: Bei der heutigen Lage der Dinge wird die Fertigstellung der Siedlung bestimmt korrekt vor sich gehen. Architekt Vollmann hat feierlich versprochen, daß bis Mai die ganze Siedlung fertig ist. Die Sache ist auch so, daß die überwältigende Mehrheit der Siedler bedingungslos dem zustimmen wird, was die nationalsozialistischen Organe vorschlagen. Ein Widerstand des Einzelnen ist ohne Aussicht auf irgend einen Erfolg.

 

Im Laufe des Jahres 1934 stellten sich weitere Schwierigkeiten ein, denn Nachrichten über die wachsende Zunahme des Defizits wurden bekannt. Unter der kommissarischen Genossenschaftsleitung sollte eine Erhöhung des Hauspreises auf 5400 RM durchgesetzt werden. Im August 1934 wurde von der Generalversammlung ein neuer Vorstand gewählt, der bisherige Geschäftsführer Kagerer wurde entlassen und Drechsler musste als Erster Vorsitzender zurücktreten. Mit den Mitteln der Überredung, der Drohung und der Einschüchterung wurden die Siedler bearbeitet, einem neuen Hauspreis von 6.100 RM zuzustimmen, um einen Konkurs der Genossenschaft zu verhindern.

 

Eine von der Treuhandstelle für »Kleinwohnungen in Bayern GmbH« durchgeführte Revision ergab, dass unter der »Ära Drechsler-Kagerer« der Fehlbetrag auf 360.000 RM gestiegen war. Danach errechnete sich ein neuer Kaufpreis von 7800 RM. Um den Konkurs der Genossenschaft abzuwenden, wurden Sanierungsverhandlungen mit der Stadt München und dem Staatsministerium für Wirtschaft begonnen. Die Geschäftsleute und die Gläubiger (die Einzahler für die zweite Siedlung) sollten auf 40 % ihrer Forderungen verzichten und ein weiteres Darlehen sollte zur Verfügung gestellt werden. Damit die Sanierung zustande kommen konnte, mussten die Siedler für den Vergleich und somit auch für den neuen Kaufpreis von 6100 RM zuzüglich des verbilligten Reichsbaudarlehens zustimmen.

 

Am 13. August 1935 fand der Vergleichstermin vor dem Vergleichsgericht München statt, mit positivem Ausgang. Doch es befanden sich noch circa 25 Siedler in Opposition. Durch einen Brief der Partei wurden sie auf die Folgen ihrer Weigerung aufmerksam gemacht. In diesem Brief stand unter anderem:

 

Ich möchte die Gegner des Vergleiches fragen, ob sie als deutsche Volksgenossen diese Verantwortung auf sich nehmen wollen, denn das »Nein« sagen bedeutet nichts anderes als seinen Mitmenschen einen Schaden zuzufügen, sie haben auch hieraus die Konsequenzen zu ziehen, denn Möglichkeiten sind verschiedene gegeben. Die Gegner des Vergleiches der 1. Siedler können veranlasst werden, ihr Haus zu räumen und den 2. Siedlern zur Verfügung zu stellen. Das Gesetz gibt ohne weiteres der Vorstandschaft die Handhabe dazu. […] Alle die guten Willens sind werden ersucht, sich zu überlegen, was im Falle eines Konkurses für Nachwehen erscheinen und welche Verantwortung sie dabei als Volksgenossen auf sich nehmen. Die Vergleichsgegner hätten gestern Abend in der Poschwirtschaft sowohl als auch heute im Vergleichstermin Gelegenheit gehabt, sich selbst vom berufenen Munde aus unterrichten zu lassen über das oben geschilderte. Dieses Rundschreiben ergeht an alle Vergleichsgegner mit dem Ersuchen die Zustimmung zum Vergleich zu erteilen. Der Unterfertigte kommt morgen Früh in der Zeit zwischen 8 und 9 Uhr persönlich zur Entgegennahme der eventuellen Zusage.

 

Im September 1935 schrieben die »aufmüpfigen« Siedler einen Brief an den Reichsminister und Stellvertreter des Führers, Rudolf Hess, um ihre Sachlage genau zu erklären. Am 9. März 1936 erkannten die 21 »Neinsager« letztendlich in einem Schreiben den endgültigen Hauspreis unter gewissen Voraussetzungen an.

 

Zu kämpfen hatten die Siedler mit dem hohen Grundwasserstand. So beschloss man im Juli 1933, nachdem die Baugruben unter Wasser standen, die Häuser nicht so tief zu bauen. 1935 wurde von der Stadt München die Herstellung von Entwässerungsgräben zur Absenkung des Grundwassers verlangt. Trotzdem kam es öfters vor, dass Wasser in die Keller lief. Dazu diese Geschichte:

 

Das Wasser hatte schon die dritte Kellerstufe erreicht. Unsere Huberin musste dringend in die Stadt und als sie heim kam, fiel ihr ihre Bruthenne ein, die im Keller auf ihren Eiern saß. Schnell das ganze Gewand herunter und nackend ins kalte Wasser, um das arme Vieh zu retten. Da läutete es an der Haustüre. Sie mit der Bruthenne und ihrem Nest hinauf. Der Weber Fritz war draussen und war sehr erstaunt über die nackte Frau und sagte: »Ja, mei Huaberin, wie schaugst denn Du aus, aber Dein Hut hättst scho a no runter tun könna.

 

In der Eile war sie mit Hut ins Wasser gestiegen.

 

1946 wurde die Ein- und Verkaufsgenossenschaft in einen eingetragenen Verein umgewandelt. Der heutige Verein nennt sich »Interessengemeinschaft der Siedlung München-Johanneskirchen e.V.«.

  

 

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Fotos: Feierliche Grundsteinlegung der »Zahnbrechersiedlung« am 1. Mai 1933 © verein für stadtteilkultur im münchner nordosten e.V.