/// Ein Krimi an der Grenze
Was
ein Diebstahl so alles bewirkt oder wie man Schutzengel wird
Wer kennt ihn nicht, den Fritz Lutz, den Schuldirektor von Englschalking, der des Lateinischen mächtig war und der das Amt des Kreisheimatpflegers des Landkreises München inne hatte. In dieser Eigenschaft organisierte er in und um München Stadtteilspaziergänge. So auch im Juli 1985. Lutz hatte die Angewohnheit, dass er seine Führungsobjekte immer eine Stunde vor der Führung abging, um sich von dem ordnungsgemäßen Zustand zu überzeugen. Diesmal stand eine Führung rund um die St. Lorenz-Kirche in Oberföhring auf dem Plan und das Ende der Führung sollte der historische Grenzstein sein, der die Grenze des Herzogtums Baiern und des Hochstifts Freising bekundete.
Lutz ging in Richtung Grenzstein und sah von weitem zwei junge Männer mit bloßem Oberkörper mit Spitzhacke und Spaten am Gartenzaun des Pfarrgartens hantieren. Es hatte den Anschein, als ob sich der Stadtpfarrer eine neue Gartensäule setzen ließe.
So
ging er nicht weiter auf die jungen Männer zu, um sich von dem ordnungsgemäßen
Zustand des Steines zu überzeugen, sondern zum Treffpunkt für den
Stadtteilspaziergang zurück. Nach den Erklärungen zur St. Lorenz-Kirche begab
sich die Gruppe in Richtung Grenzstein. Doch was mussten sie dort sehen? Erde
war angehäuft und wo sich der Grenzstein befinden sollte, klaffte ein tiefes
Loch. Der historische Stein war verschwunden. Was lag näher, die Arbeiter
hatten keine Zaunsäule gesetzt, sondern den Grenzstein geklaut. Noch am
gleichen Tag schaltete Fritz Lutz einen Fahndungsaufruf in den Münchner
Tageszeitungen und Boulevardblättern.
Am
15. Juli 1985 rief einer der Diebe im Pfarrhof von St. Lorenz an. Ein Kaplan aus
Ghana nahm das Gespräch entgegen. Er verstand den Sachverhalt bzw. den Dialekt
nicht und gab das Gespräch an die Pfarrersköchin Frau Maria weiter. Die Diebe
hatten den Fahndungsaufruf gelesen und vermutlich wurde ihnen die Sache zu heiß.
Sie gaben an, dass sie den Stein am Bahndamm an der Leinthaler Brücke abgelegt
hätten. Am nächsten Tag rief mich die Pfarrersköchin bei der
Polizeiinspektion 22 in der Holbeinstraße an, in der ich als Kontaktbeamter für
die Bereiche Oberföhring / Herzogpark zuständig war, und teilte mir den von
den Dieben geschilderten Sachverhalt mit. Sie gab zu, dass sie sich zum
angegebenen Ort selbst nicht hingetraut habe.
Ich
war an diesem Tag, dem 16. Juli 1985, zum Dienst beim Bayerischen Landtag
eingeteilt und trug ausnahmsweise Zivilkleidung. Ich gab bei der Dienststelle
Bescheid und fuhr mit meinem Auto zu besagter Örtlichkeit. Am Parkplatz bei der
Abzweigung der Leinthaler Straße parkte ich meinen Pkw. Meinen feinen Zwirn
nicht schonend kämpfte ich mich zuerst am südlichen Bahndamm durch ein Gestrüpp
von Brombeersträuchern. Zurück ging es am nördlichen Damm ebenso. Von dem
Diebesgut keine Spur.
Es
war wie verhext, es war nichts zu finden. Schon etwas mutlos ging ich zurück zu
meinem Wagen. Doch was musste ich da sehen, stand doch das linke Hinterrad
meines Pkw auf einem grauen, länglichen Etwas. Da lag er nun, ganz unscheinbar,
der Stein. Er war von den Dieben entlang des Randsteines abgelegt worden. Ich
fuhr von dem Stein herunter, lud ihn in den Wagen und transportierte ihn zum
Pfarrhof.
Herr
Lutz brachte am nächsten Tag den Stein ins Stadtmuseum München. Nachdem eine
originalgetreue Kopie gefertigt worden war, grub man diese an der alten Stelle
ein.
Zum Dank wurde ich von Herrn Lutz bei der Abhandlung über die Gedächtnisstätte des St. Emmeram bei Feldkirchen mit folgender Widmung bedacht, auf die ich natürlich besonders stolz bin: "Dem „Schutzengel Oberföhrings“ gewidmet von Fritz Lutz am 16. Juli 1985, dem Tag der Rettung des historischen Grenzsteins."
Dieter
Vögele