/ / / Schulentwicklung im Münchner Nordosten

Geschichtliche Betrachtung zur 75-Jahr-Feier der Ostpreußenschule

 

Schulische und kommunale Entwicklung im Münchener Nordosten verlaufen parallel. Die erste schulische Bildung boten die Eremiten in Oberföhring. Hinweise auf Schulunterweisung gibt es bereits aus den Jahren 1599 bzw. 1605. Sichere Kunde stammt aus dem Jahre 1659. Wer waren die Eremiten? Die Märchenvorstellung vom Einsiedler im Walde ist falsch. Eremiten waren Mitglieder einer Kongregation, die unter Aufsicht des zuständigen Bischofs stand. Sie lebten von den Zuwendungen der jeweiligen Pfarrherrn und der Gemeinden und von den Erträgen des Bettelns. Dafür erhielten sie den Bettelbrief. Die Eremiten betreuten Kapellen und Klausen, gingen dem Pfarrer zur Hand, pflegten Kranke, versorgten Pilger und betrieben die „Unterweisung der armen Bauernjugend in Gegenden, wo keine Schulen sich befinden“.

 

Die politische Entwicklung in Europa brachte für Bayern erhebliche Veränderungen. Nach dem Tode des Kurfürsten Karl Theodor folgte Max IV. Josef. In den Koalitionskriegen zwischen 1792 und 1802 geriet Bayern in die Auseinandersetzungen zwischen Österreich und Frankreich und 1800 wurde München von den Franzosen besetzt. In der darauf folgenden Schlacht bei Hohenlinden erlitten Österreicher und Bayern gegen die Franzosen eine vernichtende Niederlage. Der frankophile Minister Montgelas leitete daraufhin mit dem Geheimvertrag von Bogenhausen die Bindung an Frankreich ein. Das Jahr 1806 brachte das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und mit Hilfe Napoleons für Bayern die Königskrone.

 

Die Freundschaft mit Napoleon und die Säkularisation brachten Bayern erheblichen Landgewinn. Die organisatorische Neubildung Bayerns zu einem modernen Staat war das Verdienst des Ministers Montgelas. Viele Neuerungen fanden in zahlreichen Gesetzen und Verordnungen ihren Niederschlag. Die Landesvermessung (Ausgangspunkt ist die Basispyramide in Oberföhring) führte zur Bildung von Steuerdistrikten, die nach den Gemeindeedikten von 1808 und 1818 Grundlage für die Gründung von Gemeinden waren. So entstand die Gemeinde Daglfing aus den Dörfern Zamdorf, Daglfing, Denning, Englschalking und Johanneskirchen, ein willkürlicher Zusammenschluss ohne kirchlichen oder schulischen Mittelpunkt.

 

Wichtiger als die kommunale Organisation waren für die Entwicklung des Schulwesens neue Ideen und Strömungen. Die Aufklärung veränderte das Denken der Menschen. Rousseaus Schriften fanden große Verbreitung und sein Roman „Emile“ erzielte – trotz vieler Ungereimtheiten und Widersprüche – eine heute noch kaum vorstellbare Wirkung. Auch Pestalozzi in der Schweiz war tief beeindruckt. In „Wie Gertrud ihre Kinder lehrt“ entwickelt er den Gedanken der Volksbildung und die noch heute gültigen Methoden des Lehrens und Lernens. Aus ganz Europa pilgerten Menschen zu ihm, um seine Arbeit zu sehen. Man war überzeugt, dass durch Bildung das sittliche und soziale Wohl des Einzelnen wie der Gesamtheit der Menschen gefördert werden könne. Rousseau und Pestalozzi halfen, die Welt zu verändern, denn auch der Staat erkannte nun die Bedeutung der Bildung für Staat und Gesellschaft. So wurde in Bayern 1802 die allgemeine Schulpflicht eingeführt. Damit war das Ende der Eremitenschule gekommen. Eine Allerhöchste Entschließung aus dem Jahre 1802 beginnt mit dem Satz: „Da das Institut der oder Einsiedler schon längst als zwecklos und schädlich anerkannt worden ist, …“ Das harte Urteil entsprach in keiner Weise der durchaus verdienstvollen Arbeit der Eremiten. Staatliche Lehrer übernahmen jetzt die Klausnerschule in Oberföhring. Bei einer Schulvisitation 1804 waren von 64 gemeldeten Kindern nur 37 anwesend. Die Schulfreudigkeit der bäuerlichen Bevölkerung war gering, da Kinder zur Feldarbeit oder zum Viehhüten gebraucht wurden.

 

Die räumlichen Verhältnisse machten bald den Bau einer neuen Schule in Oberföhring notwendig. Die Bemühungen dazu zogen sich bis 1821 hin. Das neue Haus wurde mit den Abbruchsteinen der Eremitage erbaut. Es steht heute noch und beherbergt einen Kindergarten (Muspillistraße 27).

 

Ganz so schlecht, wie es heute oft erscheint, kann die Schule damals nicht gewesen sein. Dazu eine Rechenaufgabe aus dem Prüfungsprotokoll des ersten weltlichen Lehrers in Oberföhring: „Ein Eierführer hat 3 Kisten Eier. In jeder haben 25 Eier in der Länge, 15 in der Breite und 12 Lagen Platz. Wie viele Eier sind in einer Kiste? Wie viele in allen dreien? Wenn er 5 Eier um 2 Batzen gibt, was löst er?“

 

Der Weg zur eigenen Schule war für die Gemeinde Daglfing nicht einfach. Motivation dazu waren die weiten Schulwege und die finanziellen Beiträge, die an Oberföhring geleistet werden mussten. Auch hatte sich die Einstellung der Menschen zur Schule geändert, und man erkannte, dass Schule und Kirche Mittelpunkt und kommunale Identifikation für eine Gemeinde bedeuten. Nach drei vergeblichen Anläufen in den Jahren 1873, 1881 und 1889 wurde 1892 mit der Wiedergenehmigung des Bieraufschlags zur Finanzierung eines Schulbaus der erste Erfolg erreicht. Die eigentliche Genehmigung durch das Ministerium wurde dann 1895 erteilt. Bereits im Oktober war das Schulgebäude (heute Kindergarten in der Schnorr-von-Carolsfeld-Straße) mit zwei Lehrsälen, Lehrerdienstwohnung, Gemeindekanzlei und Nebengebäude fertig. Im Winter wurde es trockengeheizt, und die Eröffnungsfeier fand am 8.6.1896 statt. Durch den starken Zuzug und die Siedlungstätigkeit in den zwanziger Jahren wurde die Schule bald zu klein. Trotz Umbauarbeiten mussten die Oberklassen in Nachbarschulen untergebracht werden. Das Ende der ersten Volksschule in Englschalking deutete sich schon an. Ein Schulneubau war für die leistungsschwache Gemeinde undenkbar. Sie war mit Straßenbau, Wasserversorgung, Straßenbeleuchtung, Entwässerungsmaßnahmen schon überfordert. Dazu kam das Ansteigen der Zahl der Arbeitslosen und Wohlfahrtsempfänger durch die Weltwirtschaftskrise. Eine Lösung bot sich in der Eingemeindung nach München an. Diese gelang jedoch erst im Jahre 1930 nach mehrfachen Versuchen. Die Hoffnungen, die Daglfing mit der Eingemeindung verknüpft hatte, wurden nicht so bald erfüllt. Erst 1935 konnte mit dem Bau der neuen Schule begonnen werden.

 

Zum Erstaunen der Englschalkinger wuchs ein prächtiges Gebäude inmitten von Äckern und Wiesen empor, ein „Schloss“, Ausdruck einer neuen Zeit, die Hoffnung auf Arbeit und Brot gab. Die Drohung des Schreckens und des Krieges, die hinter der „neuen“ Zeit stand, sahen viele Menschen nicht. Am 14. Juni 1937 wurde die neue Schule eingeweiht und erhielt den Namen Tannenbergschule (nach der Schlacht bei Tannenberg 1914). Sie war bis 1968 die einzige staatliche Schule im Bereich der ehemaligen Gemeinde Daglfing.

 

Immer noch begrüßt der Hahn auf dem Turm der Schule am Morgen die Kinder und erinnert die ehemaligen Schüler auf dem Weg zur Arbeit an ihre Schulzeit. War es eine glückliche Zeit, dann hat die Schule eine wichtige Aufgabe erfüllt.

 

Herbert Feldmann

NordOstMagazin, 9. Jahrgang 2013

 

 

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