Der Weg einer Krippe von Bogenhausen nach Au bei Bad Aibling

 

Jedes Jahr zum Beginn der Weihnachtszeit warten schon viele Bürger, vor allem aber die Kinder von Au und Umgebung gespannt auf das Kripperl. Genauer gesagt, ist es die Krippe des „Vereins zum Erhalt und zur Förderung der Selmayr-Betz´schen Familienkrippe e.V.“, die jedes Jahr zum ersten Advent in der Auer Pfarrkirche St. Martin aufgestellt wird und bis zum Aschermittwoch mit vier wechselnden Bildern stehen bleibt. 

 

Das Kripperl-Jahr beginnt z.B. mit der „Verkündigung“ oder mit der „Herbergssuche“. Als zweites Bild folgt dann zum 24.12. die „Heilige Nacht“, die zum 6. Januar umgestellt wird zu den „Heiligen drei Königen“. So gegen Ende Januar wird dann noch ein viertes Bild aufgebaut; in den letzten Jahren gab es da z.B. die „Hochzeit zu Kanaan“, das „Haus Nazareth“ oder die viel beachtete Aufstellung „Jesus der Kinderfreund“ oder in der Saison 2008/9 die sehr romantische „Flucht nach Ägypten“. Das Repertoire der Krippe ist groß und die „Kripperl-Bauer“ verstehen es, jedes Jahr wieder eine neue, bisher noch nie dagewesene Darstellung zu präsentieren. Großer Beliebtheit bei den Kindern erfreut sich auch der „Bettelmann“, der sich nach jeder kleinen Gabe dankend verbeugt. 

 

Die Krippe in der Auer Kirche ist alt, so um die 150 Jahre, und ihre Geschichte verlief nicht geradlinig. Sie hat einiges erlebt und nur durch Zufall und Glück – oder vielleicht durch Vorsehung? – hat sie bis heute überlebt. 

 

 

 

 

Die Auer Krippe ist eine Barockkrippe. Gründer war der Gastwirt Joachim Betz (1821–1892) aus dem damaligen Dorf Bogenhausen bei München. Ob er sie langsam in Einzelstücken gesammelt hat oder als Ganzes erworben hatte, ist nicht bekannt. Aus der unterschiedlichen Schnitz- und Machart der einzelnen Figuren ist aber zu vermuten, dass die Krippe über viele Jahre hinweg gesammelt wurde. Manche Figuren – insbesondere die Tiere – sind aus einem Stück geschnitzt und dürften nach Einschätzung des Bayerischen Nationalmuseums aus der Münchner Schnitzschule „Sickinger“ stammen. Die Mehrzahl der „Personen“ sind bewegliche Figuren mit einem Holzkorpus und mit über Draht verbundenen Extremitäten; sie sind mit Stoff bekleidet und kommen wohl aus der Tölzer Gegend. von Joachim Betz im Nebengebäude seiner Gastwirtschaft, der Betz-Wirtschaft in der Ismaninger Straße in Bogenhausen, einem bei den Münchner Bürgern beliebten Ausflugsziel vor den Toren der Stadt. Es gab Brunnen, Bäche und Seen mit echtem Wasser; die Leitungsrohre waren aus Blei. An den Sonntagen wurde die unverschlossene Krippe von einem alten Weiblein beaufsichtigt, das auch einen „Holzhacker“ mit einem Drahtzug zum „Leben“ erwecken konnte. 

 

Joachim Betz bastelte auch unterm Jahr an seiner Krippe, wobei ihm seine Enkelkinder zusehen durften. Weihnachten vor seinem Tode konnte er die Krippe selbst nicht mehr aufstellen, sein Sohn Josef übernahm für dieses Mal das Amt. Nach dem Tod von Joachim Betz wurde die Krippe in Kisten und Schachteln verpackt und im sogenannten Speicherzimmer der Händelstraße 1 aufbewahrt; dort hielt sie einen langen Dornröschenschlaf bis 1934. 

 

 

 

 

In diesem Jahr wurde in Bogenhausen die neue Pfarrkirche „Hl. Blut“ eingeweiht. Dort durfte nun die alte Krippe von Lorenz Betz, dem Urenkel des Joachim Betz, und seinen Neffen Fritz Galland und Alfons Selmayr aufgestellt werden. Zum größten Teil war alles noch in Ordnung. Die weiblichen Familienmitglieder – Maria Betz, Josefine Selmayr, Gretl Galland u.a. – übernahmen es, einen Großteil der Figuren neu zu kleiden. Viele Figuren, darunter auch das „Gloria“, wurden von Herrn Heiderscheidt repariert, einem Freund von Lorenz Betz, der Angestellter in der Bayerischen Staatsbibliothek war. Die Krippe wurde in der Bogenhausener Kirche bis ins Kriegsjahr 1943 aufgestellt. Bei demselben Luftangriff, bei dem die Kirche eingeäschert wurde (in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober), wurde auch das Haus, in dem das Kripperl auf dem Speicher ungeschützt lag, im Bombenhagel schwer beschädigt – doch der Krippe passierte wie durch ein Wunder nichts. Mit Leitern wurde die Krippe vom Dachboden geborgen und Lorenz Betz brachte sie in seine Wohnung am Herzogpark. Aber auch dort wütete der Krieg und Bombensplitter surrten durch den Raum – die Krippe blieb ein zweites Mal unversehrt. 

 

Da sein Sohn und Erbe im Krieg gefallen war, schenkte Lorenz Betz die Krippe 1947 seinem Neffen Dr. Alfons Selmayr, der zu dieser Zeit gerade eine Arztpraxis in Irschenberg eröffnet hatte. Dr. Selmayr wusste, dass sein Onkel die Krippe nicht mehr aufstellen wollte, und bat diesen in einem Brief um ein paar Figuren, damit er seinen Kindern zu Weihnachten ein Kripperl aufstellen könne. Die Antwort war überraschend: „Ich habe keine Verwendung mehr für die Krippe. Ich weiß, dass Du sie schätzt. Bitte hole sie dir.“ Und so fuhr ein paar Wochen später ein Traktor mit Anhänger nach Bogenhausen und holte die Krippe nach Irschenberg. 

 

In den Jahren 1947 und 1948 stand für die Krippe nur eine unbenutzte Toilette in dem Bauernhaus, in dem Dr. Alfons Selmayr wohnte, als Aufstellungsraum zur Verfügung. Erst dann konnte ein zerlegbarer Schrank mit elektrischer Beleuchtung angeschafft und eine Kulisse von Maler Jaud gemalt werden. Das Kripperl wurde nun in der Irschenberger Kirche aufgestellt. 

 

1952 kam Dr. Selmayr als Arzt nach Au bei Bad Aibling – natürlich mit der Krippe. Sein wichtigstes Ziel war es nun, seiner geliebten Krippe in der Auer Pfarrkirche einen würdigen Platz zu schaffen. Zuerst wurde sie auf den hintersten Bänken unter der Treppe aufgestellt. Dies war nicht optimal, da die Kirche zu hell war. Außerdem murrten die Leute, die dort ihre angestammten Sitzplätze hatten. Erst als 1959 die Pfarrei ein elektrisches Geläut einbauen ließ, stand der dunkle und stille Raum im Glockenturm zur Verfügung. Jetzt wurde ein neuer, tieferer Krippenschrank angeschafft. Vom bekannten Künstler Wappmannsberger in Prien wurden neue Kulissen auf Sperrholz gemalt – Kosten: 20.000 DM. 

 

Jahr für Jahr wurde die Krippe nun im Turm der Auer Kirche aufgestellt. Als Helfer dienten Dr. Selmayr zuerst seine Kinder, nach dem diese erwachsen waren, Kinder aus einem Kinderheim in Berbling und später dann seine Enkelkinder. Etwa ab 1980 entwickelte sich sein Enkel Martin Selmayr zum „Ober-Kripperlbauer“ – selbstverständlich unter der Führung von seinem Opa. 

 

 

 

 

Nach dem Tod von Dr. Alfons Selmayr 1990 ging die Krippe in den Besitz seiner Kinder über. Aufgestellt wurde sie aber weiter von seinem Enkel Martin Selmayr, der dies in seinem Sinne und mit viel Freude bis heute weitergeführt hat. Von 1992 bis 1998 wurde die Krippe zum Teil renoviert, viele Figuren von Frau Heiderscheidt neu gekleidet und die Häuser von Daniela Riedel repariert. Auch die Lichtanlage wurde modernisiert. 2003 war eine neue Alarmanlage fällig, denn die alte war durch das feuchte Turmklima so marode, dass sie keinen Pieps mehr machte. 

 

Im Sommer 2005 haben freiwillige Helfer der Pfarrei in zahlreichen Arbeitsstunden den Raum im Kirchturm saniert, den alten Putz abgeschlagen und neu verputzt, so dass nun wieder ein ideales Umfeld für das Auer Kripperl gegeben ist. Das feuchte Klima im Kirchturm, vor allem in den Sommermonaten, hatte auch den Krippenschrank stark angegriffen. Und nachdem der Schrank für die Maurerarbeiten sowieso aus dem Raum entfernt werden musste, wurde er ebenfalls einer Generalrenovierung unterworfen. Übrigens war es nicht leicht, den Schrank aus dem Turm zu schaffen: die Schrauben waren so korrodiert, dass sie sich nicht mehr drehen ließen; also musste die Säge her und damit wurde der Schrank in zwei Teile geschnitten. Das vordere Teil wurde wieder verwendet, während das hintere Teil gänzlich erneuert werden musste. Pünktlich zur Krippensaison war alles fertig und an seinem Platz. 

 

 

 

 

Im Herbst 2003 beratschlagten die Besitzer der Krippe, die Kinder von Dr. Alfons Selmayr, über deren Zukunft. Die Frage lautete: Wie kann die Krippe dauerhaft erhalten werden und den Auer Bürgern zur Verfügung gestellt bleiben? Sie entschieden sich für die Gründung eines gemeinnützigen Vereins, der die Erhaltung und die Pflege der Krippe zum Ziel hat. Die Krippe ging vollständig in den Besitz des Vereins über. Solange der Verein besteht und genügend Mitglieder Interesse an der Erhaltung haben, verbleibt die Krippe in Au und kann jedes Jahr in der Weihnachtszeit aufgestellt werden. Dass das Kripperl den Auer Bürgern wichtig ist und dass sie es als bedeutendes Kulturgut des Ortes erkennen, zeigt die mittlerweile beachtliche Mitgliederzahl und das rege Interesse an den Aufstellungen. 

 

So kam ein altes Kleinod vom städtischen Bogenhausen ins bayerische Voralpenland. Gerne sind hier in Au bei Bad Aibling interessierte Bürger aus der bayerischen Hauptstadt zu einer Besichtigung willkommen – ein bisschen ist es ja auch ihr Kripperl, stammen doch die Wurzeln aus Bogenhausen.

 

Franz Selmayr, NordOstMagazin 2012

 

 

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Abbildungen der Betz'schen Krippe in der Au von oben nach unten: (privat © Verein für Stadtteilkultur im Münchner Nordosten e.V., 2008, 2010)

Anbetung der Heiligen Drei Könige

Flucht nach Ägypten

Ausschnitt aus der Szene "Heilige Nacht"

Am Ölberg

Die Heilige Familie im Haus in Nazareth