Ein Votivbild erzählt

Die Begebenheit, von der ein Votivbild in der St. Nikolauskirche in Englschalking spricht, ist eingebettet in die Ereignisse der napoleonischen Zeit und den politischen und gesellschaftlichen Umbruch der Regierungszeit Max I. und seines Ministers Montgelas. Das Bild zeigt das Dörfchen Englschalking mit der Nikolauskirche; im Hintergrund sieht man die Alpen; von rechts sprengen aus dem Prielwald berittene Franzosen auf das Dorf zu. Der Text zum Bild lautet:

 

»Als im Jahre 1800 im Monat Juni das fürchterliche Kriegsheer der Franzosen in dieser Gegend, besonders in dem sogenannten Pruelholz sich häufig niederlagerte und allenthalben große Forderungen machte, auch viele Schäden durch Vergehungen denen mehresten Dorfschaften verursachte, ritt einstmals ein ganzer Schwarm dem Dörflein Englschalking zu. Alle Leute daselbst waren in großer Furcht, Angst und Schrecken. Da nahm ich Franz Ailler, Planken-Bauer und dieser Zeit Dorfführer meine Zuflucht zu dem heiligen Nikolaus, verlobte mich und die ganze Gemeinde: Wenn Gott durch die Fürbitte unseres und wundertätigen heiligen Bischofs und Kirchenpatrons Nikolaus uns vor der bevorstehenden Lebensgefahr, auch anderen befürchtenhabenden Übel und Schaden solle bewahren, so solle zu Ehren  unseren heiligen Nothelfers ein Amt gehalten werden und ich wolle auch zum Andenken aller Nachkommenden eine Tafel auf meine Kosten machen lassen. Und so sehet Wunder, wir erfuhren augenscheinlich Hilfe, so daß die ganze Gemeinde außer einem großen, allgemeinen Aufwand und anderer Gefahr jederzeit beschützt blieb. Gott und unser heiliger Kirchenpatron Nikolaus sein ewiger Dank gesagt   !    Ex Voto    !     Renoviert 1872 durch Maria Ailer.«

 

Der Hilferuf geschah während des 2. Koalitionskrieges gegen Napoleon (1798 - 1801). Sicher hatten die bösen Erfahrungen aus dem kurz vorausgegangenen 1. Koalitionskrieg, in dem die Bevölkerung die Übergriffe französischer, vor allem aber verbündeter österreichischer Soldaten hatte erdulden müssen, die Angst der Englschalkinger geschürt. Ob sie von den politischen Ereignissen in der nahen und doch so fernen Hauptstadt Kenntnis hatten, ist zweifelhaft. Kurfürst Karl Theodor, in Bayern nicht besonders geliebt, verlor durch das Bündnis mit Österreich weitere Sympathien. Einerseits die Pflicht zur Reichstreue und die Nähe Österreichs, das immer mit dem Gedanken einer Annexion Bayerns spielte, andererseits die revolutionären Gedanken, die die Franzosen mitbrachten, ließen dem Kurfürsten kaum eine andere Wahl. In München wurden Flugblätter und Schmähschriften gegen den Landesherren und seinen Hof verteilt. Der Magistrat wagte deutliche Kritik am Kurfürsten und gegen Ende des Jahres 1794 hatte es wegen eines nichtigen Anlasses Unruhen und einen Streik aller Zünfte gegeben, der das Leben in der Hauptstadt lahmlegte.

 

Als Karl Theodor im Frühjahr 1799 plötzlich starb, standen 100.000 österreichische Soldaten im Lande, mit denen die bayerische Bevölkerung häufig schlechte Erfahrung gemacht hatte. Beim Bekanntwerden des Ablebens des Kurfürsten "frohlockte alles, und jeder wünschte dem andern Glück" (Westenrieder, Kluckhohn, 1. Abt., S. 62). Freudig dagegen wurde Max IV. Joseph begrüßt. Allerdings konnte er zur Enttäuschung der Bayern das Land zunächst nicht aus der Koalition gegen Napoleon lösen. Im Juni rückten die Franzosen an und die Landbevölkerung litt unter den gewaltsamen Rekrutierungen, Plünderungen und mutwilligen Zerstörungen. Die Englschalkinger wären sicher erstaunt gewesen, wenn sie erfahren hätten, dass die Franzosen unter Beifall der Bevölkerung mit klingendem Spiel in München einzogen. Da die Stadt nicht alle Soldaten aufnehmen konnte. lagerten viele Einheiten im Umkreis Münchens, so auch im Priel. Nachdem auch das Land ständig zur Lieferung von Lebensmitteln und Ausrüstungsmaterial verpflichtet wurde und Übergriffe der Soldaten dabei häufig vorkamen, waren Angst und Sorge der Englschalkinger wohlbegründet. Die Versorgung der französischen Armee mit Fleisch, Getreide, Stroh usw. belastete die Stadt München enorm. Allein im November wurden 3.300 Zentner Korn und 4.200 Zentner Weizen an das französische Versorgungsmagazin geliefert. Dazu musste eine Kontribution von 2.750.000 Gulden aufgebracht werden, so dass sogar das Silbergerät aus den Münchner Kirchen herangezogen werden musste.

 

 

 

 

Am 28. November 1800 verließen die französischen Truppen unter General Jean-Victor Moreau München und bezogen bei Hohenlinden ihre Stellung gegenüber der österreichisch-bayerischen Armee. Der Aufmarsch der Streitkräfte mit Soldaten, Pferden, Kanonen, Munitions- und Furagewagen kann die Englschalkinger nicht unbemerkt geblieben sein und muss bei ihnen Furcht und Erstaunen erregt haben. Viel mehr aber werden sie die Totentransporte und das Heer von Gefangenen und Verwundeten beeindruckt haben, das sich nach der Schlacht auf München zubewegte. 56.000 Franzosen hatten den 60.000 deutschen Verbündeten eine vernichtenden Niederlage beigebracht. Bayern und Österreicher verloren 12.000 Mann, 11.000 gerieten in Gefangenschaft. Die Stadt München musste 80 Fuhrwägen abstellen, um Verwundete vom Schlachtfeld in die Stadt zu bringen. Daß die Niederlage von Hohenlinden einen Wendepunkt in der bayerischen Geschichte darstellen sollte, konnten die Englschalkinger damals nicht ahnen. Doch schon wenige Jahre später nahmen die »atemberaubenden« Reformen des Grafen Montgelas Einfluss auf ihr kommunales und soziales Leben.

 

Die Gemeinde Hohenlinden hat auf dem Schlachtfeld von 1800 ein sehenswertes Denkmal errichtet.

 

 

 

 

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Text: Herbert Feldmann, in: NordOstMagazin, Januar 2006.

 

Abbildungen:

oben: Votivtafel in der Filialkirche St. Nikolaus aus der Zeit des  2. Koalitionskrieg im Jahr 1800; hpt © Verein für Stadtteilkultur im Münchner Nordosten e.V.

Mitte: Historiengemälde der Schlacht von Hohenlinden am 3.12.1800. In der Mitte General Moreau, begleitet von den Generälen Grouchy und Ney, im Hintergrund österreichische Gefangene.

unten: Denkmal Hohenlinden: www.franz-czech.de