Wohnwagenlager Riemer Straße, 1950er Jahre, Buchscan aus: s.o.
Wohnwagenlager Riemer Straße, 1950er Jahre, Buchscan aus: s.o.
Durchreisende Roma-Familie auf dem Wohnwagenplatz Riemer Straße, 1950er Jahre. Nur selten waren noch Umherziehende anzutreffen, die nur ein Zelt besaßen
Durchreisende Roma-Familie auf dem Wohnwagenplatz Riemer Straße, 1950er Jahre. Nur selten waren noch Umherziehende anzutreffen, die nur ein Zelt besaßen

Landfahrerlager Zigeunerschlucht

Riemer Straße

Steinhausen

Nach den Erhebungen der Stadtverwaltung standen in München 1950 etwa 200 Wohnwagen, meist auf Privatgrundstücken in den östlichen und westlichen Stadtbezirken. Nachdem darüber vom Bezirksausschuss Berg am Laim Klage geführt worden war, gab die Stadt einem Antrag auf Errichtung von stadteigenen Abstellplätzen für Wohnwagen statt. So wurden drei sogenannte „Landfahrerlager“ errichtet, die nun eine bessere „Kontrolle“ ermöglichen sollten. Sie befanden sich westlich der damaligen Riemer Straße (heute Zamdorfer Straße) hinter dem Vogelweideplatz in Steinhausen, an der Lerchenauer Straße (der Platz wurde nur wenige Jahre benutzt) und in Moosach (Triebstraße).

Das Lager an der Riemer Straße erstreckte sich über 6000m2 und zählte in den 1950er Jahren zwischen 100 und 150 Unterkünfte, teils Wohnwagen mit oder ohne Fahrgestell, teils Hütten. Unter den etwa 300 Bewohnern waren nur ca. ein Fünftel Sinti und Roma, trotzdem nannten die Bewohner der wenigen angrenzenden Einfamilienhäuser das talartige Gebiet „Zigeunerschlucht“. Verursacht durch die großen Kriegszerstörungen lebten in der Nachkriegszeit viele Münchner in Ruinen, Behelfsunterkünften, Hütten, Wohnwagen, umgebauten Eisenbahnwaggons etc. Als Erwerbstätigkeit wurde im Riemer Lager vor allem der Handel im Wandergewerbe betrieben, daneben gab es Schausteller, Artisten, Schirmflicker, Scherenschleifer und andere.
Ein Polizeibericht hebt hervor, dass die „schön eingerichteten und peinlich sauberen (…) Unterkünfte“ meist derjenigen der Sinti und Roma waren. Weniger vorbildlich waren dagegen die von der Stadt gestellten sanitären Einrichtungen. Mit Ausnahme von drei provisorischen Brunnen war nichts vorhanden. Es fehlten Toiletten, Waschräume und Kanalisation. Im Gegensatz zur öffentlichen Meinung und den immer wieder vorgebrachten Klagen der Anwohner der Lager konnte die Polizei auf den Lagerplätzen keine auffällige Kriminalität feststellen.
1956 stellte die CSU-Stadtratsfraktion den Antrag das Lager an der Riemer Straße zu verlegen – der Platz stand der noch nicht fertig gebauten Autobahntrasse nach Riem im Weg. Die Debatten über den neuen Standort wurden im Stadtrat polemische und voller Vorurteile gegenüber den „Landfahrern“ geführt. Der für die Roma und Sinti parteiergreifende Dr. Keller („Es geht eben nicht an (…) im Straßenbild an einem Volk Anstoß zu nehmen, dem wir gerade in ästhetischer Hinsicht so viel verdanken.“) erntete „stürmische Heiterkeit“ und nicht gerade schmeichelhafte Zurufe. Hinzu kam ein massiver Widerstand der an den geplanten Standorten wohnende Bevölkerung. So wurde als neuer Standort für einen Wohnwagenplatz das Grundstück des städtischen Guts Großlappen nördlich der Kläranlage und des Müllberges gewählt. Anfang Januar 1960 war der Platz eine planierte Kiesfläche, mit 45 Wohnwagen belegt, in denen 104 Personen wohnten. Aber die Stadtrat Dr. Keller geäußerten Befürchtungen erwiesen sich mehr als berechtigt, denn die Lagerbewohner wurden nicht als freie Bürger, sondern eher als Verdächtige und potentielle Straftäter kontrolliert, überwacht und ausgegrenzt.

 

Literatur: „Ich wußte, es wird schlimm. Die Verfolgung der Sinti und Roma in München 1933 – 1945“, hrsg. von der Landeshauptstadt München, München 1993.

 

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